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28.11.2016 | (rsn) - Die Skepsis war anfangs natürlich groß. Ein Cross-Weltcup? In Deutschland? In einer Stadt, von der noch nie jemand etwas gehört hat? Gerade von klassischen Crossfans wurde Zeven, die 14.000-Einwohner-Gemeinde in Niedersachsen, misstrauisch beäugt. Zeven liegt in Deutschland, also unmittelbar neben den Radsportnationen im BeNeLux-Dreieck, und ist so nah und gleichzeitig doch so weit weg: es sind mindestens 550 Kilometer Entfernung zu den eigentlichen Cross-Pilgerstätten wie Hoogerheide oder Koksijde. Sicherlich hätte man sich für einen geeigneteren Standort entscheiden können.
Aufsehen erregte der Weltcup dann, als Hanka Kupfernagel plötzlich die neue norddeutsche Crossbühne betrat. Erst zwei Monate vor dem Startschuss in Zeven wurde sie mit in die Organisation involviert, und doch ruhten am Renntag zunächst die meisten Blicke auf ihr. „Es ist eine Chance, den Cyclo-Cross in Deutschland wieder ganz neu aufzubauen“, hatte sie im Vorfeld des Events erklärt, „und diese Chance kann und möchte ich mir einfach nicht entgehen lassen.“
Die vierfache Cross-Weltmeisterin war am Morgen des Rennens allerdings genauso nervös wie alle anderen Beteiligten, die in den letzten Wochen jede freie Minute mit Ausführung und Aufbau der Veranstaltung beschäftigt gewesen waren. Der Nebel hing träge über den Baumwipfeln der Strecke und die Temperaturen waren in der Nacht unter den Gefrierpunkt gesunken. Wieder einmal hätte man sich zweifelsohne bessere Verhältnisse für den ersten deutschen Weltcup seit 13 Jahren vorstellen können.
Aber spätestens beim Rennen der U23 wurde das Zevener Festgelände - langsam aber sicher - erstaunlich voll. Gehüllt in dicke Winterjacken und mit Kameras um den Hals strömten Menschen zum Parcours. Doch obwohl sie sich gerade nach den jungen Fahrern im Trikot der Deutschen Nationalmannschaft umschauten, ihnen oft sogar zujubelten, blieben die Zuschauer dennoch seltsam distanziert. Man blickte sich ein wenig ratlos an, schüttelte ab und zu den Kopf, stellte einander Fragen. Nach dem Zieleinlauf gab es für die meisten erstmal eine Currywurst. Kupfernagel, die von vielen mit leuchtenden Augen erkannt wurde, eilte währenddessen pausenlos umher. „Wie viele Leute sind hier?“, gab sie lächelnd die Frage zurück, die man ihr gestellt hatte. „Ich habe keine Ahnung. Es könnten 500 sein oder auch 5000.“
Sie hatte Recht. Die Lokalität selbst war unübersichtlich und die 2600 Meter lange Strecke oftmals in sich gewunden, und so war es unmöglich einzuschätzen, wie viele Besucher sich tatsächlich an den Absperrungen ansammelten. Doch zwischen den deutschen Neufans konnte man sofort die klassischen Cross-Anhänger ausmachen: sie trugen gigantische Fahnen, schlugen mit Kuhglocken und brüllten euphorisch Namen, die man in Zeven zuvor wohl noch nie gehört hatte. Besonders argwöhnisch wurden sie, trotz nationaler Fußball- und Stadionkultur, vor allem dann beobachtet, wenn sie mit großen Bierflaschen zwischen Sandpit und Anstieg hin und her pendelten.
Beim Rennen der Frauen wurde die Stimmung dann allmählich lockerer. Junge Väter hatten ihre Söhne mit an die Strecke gebracht und feuerten dort begeistert Thalita de Jong an, ganze Gruppen von Jugendlichen beobachteten hingerissen eine Sophie de Boer, und als die belgische Meisterin Sanne Cant gewann, schlossen die deutschen Zuschauer sich kurzerhand einem Fanclub an und sangen unüberhörbar, immer und immer wieder, ihren Namen.
Als die Männerelite um Wout van Aert und Mathieu van der Poel schließlich an den Start ging, hatte das Publikum sich offenbar allmählich an den rutschigen Untergrund gewöhnt, man hatte Zeit gehabt, sich an den wichtigen Stellen zu positionieren und erste deutsch-belgische Freundschaften zu schließen. Als die Ampel um 15 Uhr in Zeven von Rot auf Grün sprang, kam endlich Bewegung in die Sache. Rannten erst ein oder zwei verloren wirkende Fans in Gummistiefeln von einer Absperrung zur gegenüberliegenden, um einen weiteren Blick auf das Rennen zu erhaschen, waren es in der nächsten Runde plötzlich fünf, dann zehn, und kurz darauf sprinteten ganze Massen hin und her. Belgier und Deutsche zogen gemeinsam los, um noch ein Bier zu holen und anzustoßen. Man verteilte Flaggen und hielt sie jubelnd in die Höhe. Erfahrene Fans erklärten geduldig, wer der Weltmeister ist und warum er gerade eigentlich von diesem sehr jung aussehenden Fahrer überholt wird („Er heißt van der Poel, das sagt man mit U, nicht mit Ö“).
Inmitten dieser Zuschauermasse fand man an diesem Sonntagnachmittag auch den mehrfachen Deutschen Straßenmeister Fabian Wegmann, der mit seiner ganzen Familie aus Freiburg angereist war. Mit einem breiten Grinsen stand er am höchsten Punkt der Strecke und feuerte die Fahrer an. „Es ist eine großartige Veranstaltung“, erzählte der 36-Jährige, der in seiner frühen Laufbahn selbst Crossrennen bestritten hat. „Es ist toll, wieder einen World Cup in Deutschland zu haben – und dann noch einen auf diesem Niveau!“
Nach einer Stunde war es der Ex-Weltmeister Mathieu van der Poel, der als Erster über die Ziellinie in Zeven fuhr, doch der absolute Stimmungshöhepunkt sollte noch folgen. Der ehemalige Deutsche Meister Marcel Meisen lieferte sich aus einer kleinen Gruppe heraus einen erbitterten Kampf um den Einzug in die Top Ten, und das Publikum trug ihn, den besten Deutschen des Rennens, mit ohrenbetäubendem Jubel ins Ziel. „Die Zielgerade hat gerade gebebt, oder?“, fragte er unmittelbar nach dem Finish und grinste.
Über 2500 Menschen erlebten diesen Moment hautnah mit, und gerade nach Ende des Rennens wurde deutlich, dass auch die deutschen Fahrer unerwartet froh darüber waren, endlich an einem solchen Event vor heimischer Kulisse teilnehmen zu können. Hanka Kupfernagel zog die Bilanz des neuen Weltcups allerdings eher kritisch.
„In Belgien haben sie halt mindestens 5000 oder 6000 Leute an der Strecke, das ist da ganz normal“, erklärte sie am Tag nach dem Rennen. „Wir müssen das aber realistisch sehen. Die Umstände waren nicht einfach, wir befinden uns hier in Deutschland, kaum jemand kennt Cyclo-Cross, und es wurde erst spät damit begonnen, die Veranstaltung richtig zu bewerben.“ Es bleibt offen, ob sich mehr Zuschauer gezeigt hätten, wäre das Wetter nur besser gewesen oder hätte man im Vorfeld mehr Aufmerksamkeit erregt. Vielleicht darf man allerdings, auch wenn es aus Veranstaltersicht schwer fällt, in diesem Fall nicht nur mit Zahlen balancieren. „Wir haben in Zeven den Anfang gemacht“, fuhr Kupfernagel fort und klang nun optimistischer. „Jetzt geht es darum zu sehen, wer interessiert ist und wen wir mit dem World Cup erreicht haben. Das wird sich aber erst in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Allerdings ist die UCI zufrieden, die Fahrer sind zufrieden – und wenn ich ehrlich bin, bin ich auch ziemlich happy.“
Denn am Ende des Tages blieben nicht die Eintrittspreise, die anfängliche Zurückhaltung oder die vielen Fragen im Gedächtnis, sondern der Umbruch in der Atmosphäre: aus Skepsis wurde Stimmung. Und die hat bewiesen dass Radsport, auch in Deutschland, egal ob in Zeven oder im Rest des Landes, noch immer einen festen Platz haben sollte.
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