Team Velolease-MaskMedicare - Rennbericht

Gravel-WM: Staubwolken, Bier und Kettensägen

Von Finn Zimmer

Foto zu dem Text "Gravel-WM: Staubwolken, Bier und Kettensägen"
Finn Zimmer im Ziel in Pieve di Soligo | Foto: Zimmer

13.10.2023  |  27 Grad und Sonnenschein - perfekte Bedingungen am vergangenen Sonntag für die zweite Austragung der UCI Gravel World Championships in Treviso, 30 km nördlich von Venedig. Das Rennen führte vom Lago Le Bandie nach Pieve di Soligo, von dort zwei abschließende Schleifen mit einigen scharfen Anstiegen durch die wunderschöne Landschaft Venetiens.

Bei der Streckenerkundung war schnell klar: Positionen gutmachen wird auf den ersten Kilometern durch die vielen schmalen Wege fast unmöglich sein. Ich stelle mich also schon über eine Stunde vor dem Start in den Startblock und stehe in der dritten Reihe - fast perfekt... Und zwei Minuten nach dem Start der Profis fällt auch für uns der Startschuss - aber meine Nerven: Ich komme nicht sofort ins Pedal.

Ich verliere viele Positionen und finde mich schließlich mitten in einer großen Gruppe. Zeit zum Verbessern der Position bleibt nicht, nach einem kurzen Wechsel von Schotter auf Asphalt geht es mit 50 km/h in der Spitze in eine Staubwolke, in der kaum der Vordermann erkennbar ist. Wir flitzen über eine trockene Schotterstraße mit vielen tiefen Schlaglöchern. Kurz später geht's ins Flussbett des Piave, wo der Schotter gröber wird und Lücken aufgehen. Die erste Chance zur Erholung gibt es nach 45 Minuten, als der erste Anstieg des Tages bewältigt wurde.

Wasser von den Zuschauer - und Bier
Kurz vor der ersten Durchfahrt durch den Zielort Pieve di Soligo finde ich mich in einer rund 50-köpfigen Gruppe, die sich im Lauf der nächsten 40 Kilometer an den Anstiegen immer weiter zerlegt. An jeder dieser Rampen ist die Stimmung besser als an der vorherigen: Wir werden angefeuert, bei knapp 20 Prozent Steigung wird uns Wasser - und Bier! - angeboten, und die am meisten leidenden Fahrer/innen werden kurz angeschoben. Am letzten dieser Anstiege rät mir ein Mitstreiter, “ein paar Körner für die letzten Anstiege zu bewahren”, da diese es in sich hätten.

Das Leiden fällt mir dann mit dem Wissen leichter, dass nun 50 flache Kilometer folgen, bevor es in die finalen Anstiege geht. Es bleibt also Zeit, um sich für das Finale zu erholen - so habe ich mir das zumindest vorgestellt. Es stellte sich dann heraus, dass dieser Streckenabschnitt für mich der schwerste sein wird: Ich habe Magenprobleme, kann nichts mehr verdauen, und Windschatten ist hier durch den Schotter Fehlanzeige. Die vielen kleinen Beschleunigungen aus den Kurven ziehen mir dann endgültig den Stecker, sodass ich mich aus meiner Gruppe verabschieden muss.

Als der erste der finalen Anstiege mit im Schnitt 16 Prozent Steigung überwunden ist, kommt, was kommen musste: Ein Krampf in der Wade zwingt mich zum Anhalten. Ich setze mich zur Abkühlung kurz in einen Bach, bis der Krampf besser wird und ich weiterfahren kann.

"Just look at your handlebar"
Am nächsten Anstieg kommt von einem Zuschauer der Tip “Don’t look up, just look at your handlebar”. Als ich um die nächste Kurve fahre, merke ich schnell wieso: Vor mir eine Wand mit fast 25 Prozent, und mit losem Schotter, die meisten Fahrer vor mir laufen. Ich folge dem Rat, quäle mich den Anstieg hoch und brauche meine ganze Willenskraft, um nicht abzusteigen.

Auf den letzten beiden Anstiegen werden wir bei Steigungen über 18 Prozent mit Wasser aus Gartenschläuchen und Kettensägen (!) über die Kuppen gejagt. Ich werde von dem Fahrer überholt, der mich vor den finalen Anstiegen gewarnt hatte. Nach ein paar kurzen technischen Passagen auf der Abfahrt rolle ich ins Ziel - und bin echt glücklich, es nach den Leiden der letzten Stunden geschafft zu haben.

Auch wenn das Ergebnis (Platz 101 von 146 Fahrern) nicht meinen Erwartungen entspricht, kann ich mit einer tollen Erfahrung und guten Erinnerungen nach Hause fahren: Die Zuschauer und die Atmosphäre an der Strecke waren sagenhaft, die Strecke war mit scharfen Anstiegen und anspruchsvollen Schotter-Passagen sehr abwechslungsreich - in meinen Augen einer Gravel-WM absolut würdig.

Zum Schluß ein besonderer Dank an meinen Vater und meine beiden Geschwister, die mich mega unterstützt haben und ohne die das Ganze nicht möglich gewesen wäre. Die drei haben sich während des Rennens durch das Chaos gekämpft, mich perfekt verpflegt - und am Tag vor dem Rennen alle Radläden in Treviso abgeklappert, um den perfekten Reifen für die Strecke zu finden... Grazie!

Finn Zimmer ist Fahrer im Team Velolease-MaskMedicare.

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