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28.08.2016 | Fixie-Fahrer sind die Anarchos der Radsportszene. Männer und Frauen, denen das Bahnoval zu monoton ist und das Straßentraining mit 30 oder 40 Wochenstunden zu aufwendig, haben im Fahren mit Eingangrädern ohne Bremsen ihre Nische gefunden. Die verbindet Athletik mit Action und Risiko mit Party. Denn integraler Bestandteil eines Fixie-Rennens ist die After-Race-Party.
"Das ist unsere zweite Halbzeit", sagt lachend Stefan Schäfer. Der Cottbusser wurde mit Rang 15 von 373 Startern bester Deutscher beim stimmungsvollen Flutlichtrennen in Barcelona. Der gelernte Bahnfahrer, mehrfacher Deutscher Meister in der Verfolgung und bei den Stehern, hatte eigentlich mit einem Podiumsplatz geliebäugelt. "Da kriegt man Prämien, der Dritte noch 1.500 Dollar, der Zweite 3.000 und der Sieger 5.000 und obendrauf noch ein Fixie-Bike von Specialized. Wenn man unter den ersten Drei einkommt, kriegt man für das Hobby wenigstens noch die Reisekosten bezahlt", meinte er zu radsport-news. Etwas frustriert war er schon, dass er am Podium vorbeifuhr. Er gab auch chaotisch fahrenden Rivalen die Mitschuld daran, dass er zum Schluss nicht mehr ganz vorn dabei war. "Die halten einfach vorne rein, fahren Wellen, drängen dich ab. Und nicht jeder beherrscht sein Rad so gut, dass es ohne Sturz abgeht", erzählte er. Und er ergänzte sarkastisch: "Ganz selten stürzen die dann so, dass sie in den Zaun rutschen und du nicht über sie fährst."
Fixie ist eine Risikosportart. Polizeilich ist das auch gar nicht erlaubt. Wer im Straßenverkehr mit den Rädern ohne Bremse erwischt wird, muss mit einer Ordnungsstrafe rechnen. Als "Spende für den Staat" bagatellisiert es Schäfer. In der kleinen Cottbusser Fixieszene - fünf, sechs Mann laut Schäfer - freilich weiß man, dass es nur einen Polizisten gibt, der sicheren Auges ein Fixie von einem erlaubten Rad zu unterscheiden weiß und bei der zweiten Kontrolle das Rad dann auch einzieht. "In Berlin fällt man damit gar nicht auf", lauten seine Trainingserfahrungen. Das bestätigt Robert Horn. Er ist für Mess Pack Berlin, einen Klub von Fixie begeisterten Fahrradkurieren, in Barcelona unterwegs. Und er fährt auch im Job Fixie. "Kein Problem", meint er und grinst.
Fixie fahren bedeutet erhöhten Adrenalin-Ausstoß. Das begeistert. "Es ist anders als im Bahnradsport. Da fährst du zwei Linkskurven und dann ist die Runde rum. Hier weißt du nicht, was passiert. Der vor dir kann sich verschätzen und zu langsam in die Kurve gehen. Dann stehst du hinter ihm wie ein Eimer Wasser da. Selbst brauchst du aber auch Erfahrung, um einschätzen zu können, wie schnell du reingehen kannst. Beim Rennen in London habe ich 20 Runden lang gedacht, ich bin viel zu schnell, bis ich dann gemerkt habe, nein, stimmt nicht, es geht noch schneller", berichtet Schäfer.
Das noch schneller führt dann allerdings zu extremen Fliehkräften. Im 45 Grad-Winkel, fast wie Motorrad-Piloten, sausen die Cracks auf ihren Bremsen-losen Rädern um die Ecken. Den Kitzel verstärkt, dass sie immer dabei treten müssen, der Antrieb ist schließlich starr mit dem Rad verbunden. "Durch das ständige Pedalieren kommst du natürlich auch schneller aus der Balance. Du musst das gut dosieren können. Aber das Tolle ist: Du kannst in der Kurve sogar noch beschleunigen, wenn du etwas mehr Druck auf die Pedalen gibst", meint Colin Strickland - und auch über sein Gesicht zieht das Grinsen, das Fixie-Fahrer und -Fahrerinnen immer drauf haben, wenn sie von den Reizen ihres Sports berichten.
Strickland ist im Kurvenfahren ein richtig Guter. Der gelernte Straßenfahrer aus dem texanischen Austin - "Ich würde gern mal mit Armstrong zusammen fahren", sagt er in Bezug auf seinen so berühmten wie umstrittenen Mitbürger - hat die letzten vier Red Hook Crits jeweils im Soloritt gewonnen und dabei seine Führung auch dank der Kurventechnik ausgebaut. "Du brauchst hier viel Kraft und eben gutes Bike-Handling. Fixed Gear-Rennen sind eine Mischung aus Mountainbike und Zeitfahren. Viel Windschatteneffekte hast du wegen des technisch meist anspruchsvollen Rundkurses nicht. Und klasse ist: Alle haben hier die gleichen Voraussetzungen. Du hast nur einen Gang und musst immer treten."
Die Spitzenleistungen sind durchaus bemerkenswert. Strickland wie auch Schäfer berichten von Kraftspitzen bis zu 600 Watt. Die Durchschnittsleistungen liegen weit darunter, sind aber auch nicht richtig aussagekräftig. "Wir messen schließlich nicht die negativen Wattzahlen, also die Kraft, mit der du konterst, um zu bremsen. Es wäre interessant, was da zusammenkommt", meint Strickland. Aber das ist nur eine gedankliche Spielerei. Selbst mit den herkömmlichen Powermetern fahren nur wenige in der Szene. Wichtiger ist das Gefühl, mit dem man durch die Kurven fliegt. Und das Beisammensein, das Fachsimpeln, die Party. "Wir sind hier eine große Familie und kennen uns fast alle. das ist ein Zusammenhalt wie auch unter Fahrradkurieren", erzählt der Berliner Kurier Robert Horn. Er hält den Spaß, das Miteinander, das Feiern und die ins Feiern integrierte Absprachen über neue Rennen, gemeinsame Trainingslager und die daran angekoppelten Partys ohnehin für den herausragenden Aspekt der Fixieszene.
Und so ist es kein Wunder, dass sich gleich nach dem Rennen ein Fixiefahrer mobile Boxen und auf dem Rad für die After-Race-Party einheizt. Während beim herkömmlichen Straßenradsport noch vor der Siegerehrung die meisten Fahrer und Fahrerinnen in ihren Bussen verschwinden und möglichst keine Kraft durch rennferne Aktivitäten verlieren wollen, ist die zweite Party-Halbzeit für die Fixies genauso wichtig wie die Action-reiche erste Hälfte auf dem Parcours.
Ein weiterer interessanter Aspekt der Fixieszene ist, dass die Emanzipation hier wesentlich weiter vorangeschritten ist als im Verbands-getriebenen Sport. "Wir Frauen erhalten die gleichen Prämien wie die Männer. Wir haben auch sonst den gleichen Stand", freut sich Johanna Jahnke. Die Hamburger Psychologiestudentin spielte früher Rugby, sogar für die Nationalmannschaft. Jetzt hat sie Radsport für sich entdeckt. "Straßenradsport war mir aber zu langweilig. Mit zwei Kindern kann ich auch nicht 30 oder 40 stunden die Woche trainieren. Fixietraining ist kürzer, dynamischer, knackiger. Und die Szene ist auch mehr wie bei den Skatern: Nicht hierarchisch, offen und voller Spaß", erzählt sie radsport-news. Wenn Fixie-Rennen und normale Straßenrennen mal zusammenfallen, wie etwa bei dem von Jahnkes Heimatverein St. Pauli organisierten Waterkant Krit, "dann sind wir die Bunten, die Wilden, die mit den schrägen Brillen, die immer für Stimmung sorgen", meint sie.
Wie gut diese anarchische Szene für den Radsport insgesamt sein könnte, hat man mittlerweile sogar beim BDR erkannt. Vor zwei Wochen gab der Verband bekannt, dass Lizenzfahrer ab sofort nicht mehr bestraft werden, wenn sie an Fixed Gear-Rennen teilnehmen. Bislang war das zum Teil so, weswegen Jahnke auch auf eine Straßenlizenz verzichtete. Jetzt können auch abenteuerlustige Straßenfahrer ohne Sanktionsgefahr an so spektakulären Rennen wie dem Fixie-Bergzeitfahren hoch zum Feldberg - die aktuelle Ausgabe übrigens am heutigen Sonntag - teilnehmen.
Jahnke und Schäfer haben es so schnell nicht von Barcelona zurück in die Heimat geschafft. "Man muss Prioritäten setzen", meint Schäfer. Der Rennkalender der Fixie-Szene wird mit der internationalen Red Hook-Serie in Brooklyn, London, Barcelona und Mailand oder der deutschen Rad Race-Serie mit dem Finale am Feldberg immer dichter. Und die Polizei sperrt dann brav ab. Sie zog in Barcelona nicht einmal die Fixies aus dem Verkehr, mit denen die Athletinnen und Athleten zwischen Quali und Hauptrennen mal schnell zum Strand um die Ecke fuhren. Geht doch.
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