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30.05.2009 | (rsn) - "Leser fragen - Profis antworten" heißt die neue Serie auf Radsport News. Jeden Monat steht ihnen ein Radprofi Rede und Antwort. Im Mai hat sich Zeitfahrweltmeister Bert Grabsch (Columbia Highroad) zur Verfügung gestellt. Hier sind seine Antworten:
Patrick Böhmler fragt: In den Medien war ja relativ wenig bis gar nichts zu deinem spektakulären Erfolg bei der WM zu hören. Ärgert es dich sehr, dass immer nur die "positiven" Fälle in den Medien behandelt werden?
Grabsch: Klar ärgert mich das. Ich bin erst der vierte deutsche Weltmeister im Profiradsport. Die deutschen Medien möchten im Moment nichts wissen vom Radsport, aber ich hoffe, dass sich das bald wieder ändert. Man kann sagen, dass ich in wirtschaftlicher und medialer Hinsicht im falschen Jahr Weltmeister geworden bin. Aber für mich ist und bleibt das der größte Erfolg meiner Karriere!
Scott Nawroth fragt: Als klar war, dass Cancellara bei der WM in Varese nicht startet, wie hast du das aufgenommen? Und als du später bei der Siegerehrung oben auf dem Podest standest, wie war es für dich Fahrer wie Zabriski und Co. hinter dir zu lassen?
Grabsch: Mein Ziel war es, eine Medaille zu holen. Wer am Start stand, war mir zunächst mal nicht so wichtig. Ich konzentrierte mich auf mein persönliches Rennen und habe alles gegeben. Natürlich man träumt die Tage davor, was wäre wenn… Aber ich wusste, dass ich an diesem Tag hundertprozentig fit bin und war überglücklich, ganz oben auf dem Podest zu stehen. Realisieren tut man so was erst Tage später, wenn man sich die TV- Bilder ansieht.
Björn Büttner fragt: Wie genau sieht Dein Training für ein wichtiges Zeitfahren wie die WM aus?
Grabsch: Ein Training für eine WM beginnt schon in der Saison davor. Ich muss mich immer wieder aufs Zeitfahrrad setzen und EBs oder Intervalle fahren und - für mich sehr wichtig –Krafteinheiten und Kraft am Berg. Bei mir läuft ohne Kraft nichts. Ich fahre zwei Tage vor einem wichtigen Zeitfahren eine Vorbelastung Intervalltraining oder EB mit anschließendem Motortraining. Den Tag davor eher „ruhig“ mit leichtem Motortraining.
Tim Oliver Schlichting fragt: Als Zeitfahrspezialist müssen Sie über längere Strecken ein kontinuierlich hohes Tempo fahren können. Welches sind für Sie die besten und angenehmsten Intervalle Länge/Zeit, die Sie trainieren ?
Grabsch: Ich trainiere Minimum einmal pro Woche Zeitfahren. Intervalle dauern 10-15 min. Das kann auf der Fläche oder sogar am Berg sein. Eine andere Methode ist das Motortraining hinter einem Motorrad oder Auto. Dort fahre ich 30 min – 1h. Auch dabei kann man Intervalle fahren, 10 min, und man bekommt noch mehr das Gefühl für die Renngeschwindigkeit. Alleine so schnell fahren wie in den Rennen halte ich für unmöglich, außer im Zeitfahren.
Enrico Muax fragt: Buon giorno Sg. Grabsch, weile sie sinte ja eine gute Zeitefahra, isch würde gerne ma wisse, ob sie müsse spezielle viele extra trainiere die Zeitfahre mitte die Zeiterad oda ob isse einfach eine Talente die man hatte unte reischte die normale Training?
Grabsch: Talent habe ich bestimmt, aber ich muss mir alles hart erkämpfen. Das fängt beim Gewicht an und hört beim speziellen Zeitfahrtraining auf. Ich muss Zeitfahren trainieren, sonst kommen keine Erfolge. 1997 war ich Vizemeister hinter Uwe Peschel, danach habe ich mein Talent in Sachen Zeitfahren verschlampt. Bei Phonak ab 2004 wurde auch in Sachen Zeitfahrrädern viel getan und es gab gute Platzierungen in der Vuelta. Aber beginnend ab 2007 - bei T-Mobile - wurde das Optimum für mich herausgeholt in Sachen Zeitfahren. Ich habe eine sehr gute Sitzposition und das beste Zeitfahrrad im Peloton. Aber hart trainieren muss ich trotzdem noch.
Jochen Derleth fragt: Welche Bedeutung haben für einen Zeitfahrspezialisten Dehnungsübungen und wie sind sie in das Training integriert?
Grabsch: Dehnen ist ein wichtiger Bestandteil im Trainingsprogramm eines Radsportlers - aber auch sehr unbeliebt, besonders bei den Radprofis. Wir beim Columbia Team haben in den Trainingscamps im Dezember und Januar immer einen Fitnesstrainer dabei. Das heißt für uns vor dem Training 15 min und nach dem Training 30 min Dehnung. Ich dehne zuhause oder während den Rennen immer abends jeweils 15 min. Das Dehnen nach einer schweren Bergetappe fällt mir schwerer als nach einer Flachetappe.
Franz Huber fragt: Das Material der Profis (Rahmen, Laufräder etc.) scheint durch die Bank top zu sein. Können einzelne Fahrer oder Teams über gutes Material in diesen Tagen überhaupt noch einen nennenswerten Wettbewerbsvorteil erlangen?
Grabsch: Ich denke auch, dass alle Teams top ausgestattet sind und es da nur geringe Vorteile für einzelne Teams gibt. Bei den Laufrädern kann man sagen, dass Zipp und Head das Maß aller Dinge sind. Die Teams, die auf diesen Laufrädern fahren, haben einen geringen Vorteil. Treten muss der Rennfahrer aber immer noch selbst. Bei den Zeitfahrrädern haben einige Teams sicher einen Vorteil. Nicht jedes Team legt Wert auf Zeitfahren und investiert in die Entwicklung in das Zeitfahrrad seines Radsponsors und natürlich in die Zeit. Unser Team legt großen Wert darauf, aber auch Saxo Bank und Garmin.
Kevin Pfeifer fragt: Ich habe letzens in der Zeitschrift Tour gelesen, wie viele Kilo du auf die Wage bringst. Ist es nicht sehr anstrengend, mit dem Oberkörper eines durchtrainierten Bodybuilders auf dem Rad trainieren zu müssen?
Grabsch: Ich habe einen sehr durchtrainierten Oberkörper, aber sicher keinen „Bodybuilder-Oberkörper“. Mein Körper besitzt von Natur aus viel Muskelmasse und ich muss die Kilos schon seit dem zehnten Lebensjahr, als ich mit Radsport begann, mit mir herumschleppen. Ein Bergfahrer werde ich nie und damit kann oder muss ich leben. Die Bauch- und Rückenmuskulatur ist sehr wichtig für mich zur Stabilisierung des ganzen Körpers.
Ralph Steinmann fragt: Kannst Du als erfahrener Zeitfahrer einen Tipp an Breitensportler zur aerodynamisch optimalen Sitzposition geben? Wie bestimme ich ohne Hilfsmittel die tiefste Position, die immer noch eine effiziente Kraftübertragung ermöglicht?
Grabsch: Die optimale Sitzposition zu finden, ist sehr schwierig ohne Tests auf der Radrennbahn oder im Windtunnel. Natürlich kann man tief sitzen, aber man muss sich wohl fühlen dabei und die Kraftübertragung muss optimal sein. Versuche, so tief wie möglich zu sitzen und fahre dann 10 Minuten schnell. Fühlst Du Dich wohl, kannst Du atmen, denkst Du dass Du richtig, also 100%, in die Pedale treten kannst. Wenn Du eine dieser Fragen mit nein beantwortest, würde ich Schritt für Schritt mit dem Oberkörper nach oben gehen, bis alle Faktoren stimmen .Fahre immer dieselbe Strecke bei einer konstanten Geschwindigkeit, z.B. 35 km/h.
Martin Silber fragt: Sind Carbon Laufräder wie Bp. Zipp 808 auf einer Bergfahrt von Nachteil? Würde man mit Standardlaufrädern bei gleicher Leistungsvoraussetzung eine bessere Zeit erzielen?
Grabsch: Ich würde mal sagen, dass Du bei den Zipplaufrädern bleibst oder bei denen von Head. Meiner Meinung nach sind das die besten Laufräder, die es derzeit auf dem Markt gibt. Wenn Du Dir etwa den Giro d’Italia ansiehst, wirst Du feststellen, dass nur eine geringe Anzahl von Teams Standardlaufräder fahren.
Peter Käuper fragt: Fotos aus den Frühjahrstrainingslagern zeigen Euer Team mit „Ardennes“-Laufrädern eines renommierten Herstellers. Dies sind Laufräder mit Drahtreifenfelgen, allerdings mit 23mm breitem Felgenbett, d.h. circa drei Millimeter breiter als alle Konkurrenzprodukte. Der Hersteller meint, dies verbessere die Roll- und Griffeigenschaften der Drahtreifen und bringe sie in den Eigenschaften den Schlauchreifen nahe. Wie sind Deine Eindrücke, bzw. die der Teammitglieder zu diesen Drahtreifen-Laufrädern?
Grabsch: Leider bin ich diese Laufräder nie gefahren. Aber ich weiß von unserem Trainer, dass es bei den breiten S6 gut funktioniert. Also ein Tipp: Kauf sie Dir, wenn Du sie noch nicht besitzt.
Petrusch Balazs und Stefan Benzing fragen: Da Du in Kreuzlingen wohnst - welches sind Deine Lieblingstouren im Bodenseeraum und der Schweiz?
Grabsch: Ich fahre gern den Untersee entlang. Ich glaube, zum Rad fahren ist das noch besser geeignet als am Bodensee entlang. Gern fahre ich auch ins Appenzeller Land, den Ruppenpass von Altstätten hoch. Aber ich denke, die gesamte Region rund um den Bodensee ist ideal geeignet zum trainieren oder radwandern. Ich kann sie jedenfalls nur empfehlen.
Reinhard Kotschi fragt: Wie wurden bei ihren Mannschaften Kapitäne für Rundfahrten ausgesucht? Haben da Fahrer ein Mitspracherecht? Hätten sie manchmal einen anderen Fahrer zum Kapitän bestimmt?
Grabsch: In unserem Team weiß jeder, wer der Kapitän für die Rundfahrten ist. Jetzt zum Beispiel beim Giro, da konnten es nur Rogers (Gesamtwertung) und Cavendish (Sprints) sein. Bei manchen kleineren Rundfahrten entscheidet sich die Kapitänsrolle auch erst nach der 1. oder 2. Etappe. Es kann sein, dass ein Fahrer in der Fluchtgruppe das Ziel mit großem Vorsprung erreicht. Wenn man sich gut fühlt, kann man es bei der Fahrerbesprechung sagen und dann wird das mit den Fahrern und natürlich den sportlichen Leiter diskutiert.
Philipp Hammer fragt: Wird es nicht mal wieder Zeit, in einem deutschen Team zu fahren, sprich kommt ein Wechsel zu Milram für dich in Frage?
Grabsch: Ich fühle mich sehr wohl in meinem jetzigen Team Columbia. Dort wird viel getan für mich. Ich kann in der Rennplanung mitsprechen und in Sachen Zeitfahren, meiner Lieblingsdisziplin, wird auch viel getan, z.B. Zeitfahrradentwicklung. Letztes Jahr habe ich mal bei Milram angefragt, aber die hatten kein Interesse. Jetzt bin ich sehr froh, dass ich die nächsten zwei Jahre beim Team Columbia unter Vertrag stehe.
David Herten fragt: Viele Hobby- und Profiradsportler haben im Kampf mit ihrem Gewicht eine heimliche, lästige Sucht. Bei den Schleck-Brüdern und mir ist es Fast Food. Was ist dein persönliches Laster?
Grabsch: Eine „Sucht“ von mir ist Kinderschokolade und das Erdbeertiramisu meiner Frau. Ich bin so ein Typ, der besonders aufpassen muss in Sachen Ernährung. Aber manchmal muss sich selbst ein Profi etwas gönnen.
Christoph Sollfrank fragt: Als Profisportler muss man sich extrem fordern und auf sehr vieles verzichten bzw. sich einschränken. Was fällt Ihnen besonders schwer und worauf freuen Sie sich in einem Leben ohne Profiradsport?
Grabsch: Die Frage fällt mir schwer zu beantworten. Im Moment weiß ich noch nicht genau, was ich nach meiner Profikarriere tun werde. Ich möchte in der Schweiz bleiben, weil ich mich dort pudelwohl fühle. Die Reiserei werde ich sogar vermissen. Ich schaue mir gern neue Länder an oder Regionen, wo ich im normalen Leben nie hingekommen wäre, z.B. Mont Ventoux. Wenn ich dann mal aufhören sollte, werde ich die ganze Radsportfamilie vermissen. Schließlich fahre ich seit meinem zehnten Lebensjahr Rad. Vielleicht bleibe ich ja in dem Geschäft, was mich sehr freuen würde. Angebote oder Anregungen nehme ich gern entgegen.
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