AIOCC-Mitglied Hartmut Bölts

ProTour steht wie ein Kessel unter Überdruck

Von Matthias Seng

21.04.2005  |  Hartmut Bölts ist der deutsche Vertreter in der AIOCC, dem Zusammenschluss aller wichtiger Rennorganisatoren im Radsport-Weltverband UCI, und Sportdirektor des Traditionsrennens „Rund um den Henninger Turm“. Im Interview mit Radsport aktiv äußert sich der ehemalige Radprofi zu den Querelen um die ProTour und über seine Bemühungen, mehr deutschen Rennen Einlass in die ProTour zu verschaffen.

Sie wollen in Ihrer Funktion als deutscher Vertreter im AIOCC dafür sorgen, dass mehr deutsche Rennen Einlass in die ProTour finden. Wie wollen Sie das angesichts der vielen Bewerber und des begrenzten Terminkalenders erreichen?

Bölts: Ganz einfach: Momentan ist in Sachen ProTour unheimlich viel in Bewegung. Die ProTour ist keine organisch gewachsene Veranstaltung, sondern eine Art Retortenbaby, unausgegoren und deshalb auch noch wandelbar. Hier ist nichts in Zement gegossen und das will die AIOCC ausnutzen. Wir verlangen eine Änderung des Reglements, damit auch andere Rennen berücksichtigt werden, die es aufgrund ihrer Wertigkeit, Ihrer Medienpräsenz auch ihrer Tradition verdient hätten, in die ProTour-Serie aufgenommen zu werden. Um einen Ausweg aus der jetzigen verfahrenen Situation zu finden würde ich dafür plädieren, den Teams, die ja unter gewaltigem Druck stehen, die viel Geld in Fahrer und Material investiert haben, mehr Freiraum einzuräumen. Das könnte etwa so aussehen, dass sie nur noch verbindlich an zweien statt an allen drei großen Rundfahrt teilnehmen müssen oder auch nicht mehr an allen Klassikern. Dadurch ließe sich die Anzahl an ProTour-Renntagen von derzeit 157 auf vielleicht 120 begrenzen, wodurch schon viel gewonnen wäre.

Gegenwärtig gibt es elf Renntage in Deutschland. Wie viele streben Sie an und welche von den deutschen Rennen halten Sie für ProTour-tauglich?

Bölts: Prinzipiell muss man die Entwicklung abwarten. Rund um den Henninger Turm“ und „Rund um Köln“ gehören auf jeden Fall in die ProTour, denn sie erfüllen alle die von mir aufgeführten Kriterien. Elf Renntage sind definitiv zu wenig für ein Land mit der Bedeutung wie Deutschland.

Welche Chancen geben Sie für dem Rennen „Rund um den Henninger Turm“, dessen Sportdirektor sie ja sind, ProTour –Status zu erlangen?

Bölts: Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat die UCI ja gar keine Kriterien definiert, anhand derer Rennorganisatoren sich um eine Aufnahme in die ProTour bewerben könnten. Es wurde zunächst einfach festgelegt, welche Rennen in die Serie gehören sollen, aber nirgendwo steht geschrieben, anhand welcher Vorgaben ein bestimmtes Rennen aufgenommen werden kann oder soll. Insofern herrscht hier eine gewisse Willkür. Andererseits ist das für uns durchaus positiv, denn es gibt erstens genügend Spielraum und zweitens können wir sagen: warum denn wir nicht? Wir können beispielsweise auf eine Eventanalyse verweisen, nach der „Rund um den Henninger Turm“ eine höhere Medienwirksamkeit besitzt als beispielsweise Mailand - San Remo.

Viele Teams sprechen sich für eine Kürzung von Giro und Vuelta um mindestens ein Wochenende aus, um die Belastungen zu verringern und um weitere Rennen in die ProTour-Serie aufnehmen zu können. Olaf Ludwig und Hans-Michael Holczer etwa vertreten diese Position. Schließen Sie sich deren Forderungen an?

Bölts: Es muss gar nicht so weit kommen, zumal sich die Veranstalter von Giro und Vuelta sicher mit Händen und Füßen gegen eine Verkürzung ihrer Rennen wehren würden. Schließlich sind beides große, traditionsreiche Rundfahrten. Es gibt viele Gedankenspiele und Optionen jenseits dieser Kürzungsvorschläge. Rudi Altig beispielsweise hat vorgeschlagen, dass sich Rennen immer abwechselnd an der ProTour teilnehmen könnten, in Deutschland etwa Rund um den Henninger Turm, Rund um Köln und die HEW Classics. Ein weiteres Gedankenspiel wert wäre die Frage, ob man in die ProTour nur Rundfahrten nimmt und keine Klassiker oder umgekehrt.

Wo stehen Sie und die AIOCC in der Auseinandersetzungen zwischen UCI und den Teams auf der einen Seite und den Organisatoren der drei großen Rundfahrten auf der anderen?

Bölts: Es gibt tatsächlich drei Faktoren in dieser Auseinandersetzung: die Teams, die UCI und die AIOCC. Von diesen drei sind zwei mit der derzeitigen Situation unzufrieden: nämlich die Teams und die AIOCC. Zufrieden ist nur die UCI, weil sie ihre Vorstellungen durchsetzt hat.

Wie beurteilen Sie die Boykottdrohung der Teams gegenüber dem Giro d’Italia?

Bölts: Wie gesagt: Die Teams sind mit der jetzigen Situation sehr unzufrieden. Das ist wie ein Kessel, der unter zu großem Druck steht. Und durch die Boykottdrohungen lassen die Teams einfach Dampf aus diesem Kessel.

Wie könnte eine Einigung zwischen der ProTour und den drei großen Veranstaltern aussehen?

Bölts: Hinter all den Querelen verbirgt sich ja die Frage nach den Rechten an den Rennen. Die drei Veranstalter, besonders die ASO (Veranstalterin u. a. der Tour de France), sind ja keine „Lehrjungen“ mehr, denen man irgendwelche Vorschriften machen kann. Die haben alle in vielen Jahren etwas aufgebaut, was sie sich – zurecht übrigens – nicht einfach handstreichartig wegnehmen lassen. Die Veranstalter haben, um die ProTour überhaupt zum Laufen zu bringen, ihr vorläufiges „OK“ gegeben und laden alle ProTour-Teams ein. Sie sind einen Schritt auf die UCI zugegangen und haben ihr die Hand gereicht. Die UCI hat diese Hand leider nicht ergriffen. Wenn die UCI nicht nachgibt, wird es möglicherweise zu einer harten Konfrontation kommen, denn ASO, Unipulic und RCS bilden eine echte Macht. Der Ball liegt jetzt im Feld der UCI. So, wie die ProTour jetzt konzipiert ist, wird es beispielsweise Erfolgsgeschichten wie die des Teams Gerolsteiner nicht mehr geben. Die Kluft zwischen „Premium-Teams“ und zweitklassigen Teams wird immer größer werden und für die Fahrer aus diesen Teams wird es auch immer schwerer werden, den Sprung in die Eliteklasse zu schaffen. Ich befürchte Zustände wie im US-Profisport, wo es eine abgeschlossene Kaste von Profiteams gibt, und es gang und gäbe ist, dass sich ein reicher Unternehmer einen Klub kauft. Auf die Art und Weise können aber keine vernünftige Strukturen wachsen. Ich bin aber trotzdem recht zuversichtlich, dass es zu einer Einigung kommt, eben weil die ProTour noch lange nicht fixiert ist und sich in dieser Saison in einer Art Versuchsstadium bewegt.

Angesichts der verhärteten Fronten: Wird die ProTour dieses Versuchsstadium denn überstehen?

Bölts: Wenn ich das wüsste. An sich befürworte ich ja die ProTour auch und sie macht ja auch Sinn, weil sie beispielsweise für die Teams und die Veranstalter Planungssicherheit schafft. Mein Wunsch ist: ProTour ja, aber nicht so wie im Moment.

Weitere Radsportnachrichten

11.03.2025Wird TotalEnergies neuer Co-Sponsor bei Ineos Grenadiers?

(rsn) – Verlässt der französische Energiekonzern TotalEnergies am Saisonende das gleichnamige ProTeam und wird ab 2026 neuer Co-Sponsor bei Ineos Grenadiers? Laut einer Meldung des Radsportportals

11.03.2025Trofeo Alfredo Binda im Rückblick: Die letzten zehn Jahre

(rsn) - Das erstmals 1974 ausgetragene italienische Eintagesrennen Trofeo Alfredo Binda - Comune di Cittiglio (1.WWT) zählt zu den prestigeträchtigsten Rennen im Rennkalender der Frauen. Das hügel

11.03.2025Startzeiten und Modus zum Teamzeitfahren bei Paris-Nizza

(rsn) – Das 28,4 Kilometer lange Mannschaftszeitfahren von der Motorsport-Rennstrecke Magny-Cours in die nahegelegene Stadt Nevers wird das Gesamtklassement beim 83. Paris-Nizza (2.UWT) zweifelsfrei

11.03.2025Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum RSN-Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir über d

10.03.2025Ayuso hält die Konkurrenz um den Gesamtsieg in Schach

(rsn) – Filippo Ganna (Ineos Grenadiers) war beim Auftaktzeitfahren von Tirreno-Adriatico (2.UWT) in seiner eigenen Liga unterwegs. Er schlug die Konkurrenz um 23 Sekunden. Der Abstand zwischen ihm

10.03.2025Nächster Sieg: Merlier jubelt auch in Bellegarde

(rsn) – Mit 30 Sekunden Vorsprung fuhr Jonas Abrahamsen (Uno-X Mobility) als Solist auf die Zielgerade. In der Regel reicht das für den Tagessieg. Nicht aber auf der 2. Etappe von Paris-Nizza (2.UW

10.03.2025Revanche geglückt: Ganna gewinnt Tirreno-Auftaktzeitfahren

(rsn) – Filippo Ganna hat sich für seine letztjährige "Niederlage“ beim Auftaktzeitfahren von Tirreno-Adriatico (2. UWT) gegen Juan Ayuso revanchiert und seinen ersten Saisonsieg eingefahren. W

10.03.2025Van der Poel nutzt Tirreno-Adriatico zum Formcheck

(rsn) – Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck) ist in Abwesenheit der "Big Four" der größte Name in der Startliste von Tirreno-Adriatico (2.UWT). Der Niederländer gibt beim "Rennen zwisch

10.03.2025Die Startzeiten aller Fahrer zum Tirreno-Einzelzeitfahren

(rsn) - Das 60. Tirreno-Adriatico beginnt am Montagmittag mit einem 11,5 Kilometer langen, topfebenen Wendepunkt-Einzelzeitfahren in Lido di Camaiore direkt an der Mittelmeerküste. Bis auf die 180-

10.03.2025Dicke Luft bei Lidl – Trek nach verpatztem Paris-Nizza-Auftakt

(rsn) – Vor der 1. Etappe von Paris-Nizza (2.UWT) sagte Mads Pedersen (Lidl – Trek) im Interview, dass er diesen Auftakt beim ´Rennen zur Sonne´ gerne gewinnen und erster Gesamtführender werde

10.03.2025Ohne “Big Four“ ein offenes Rennen zwischen den Meeren

(rsn) – Beim 60. Tirreno-Adriatico (2. UWT) wird der Nachfolger von Jonas Vingegaard gesucht (Visma – Lease a Bike). Der Däne gewann im vergangenen Jahr nach O Gran Camino auch die seine zweite R

10.03.2025Mehr als ein Test: Ayuso mit Siegambitionen bei Tirreno-Adriatico

(rsn) – Als Vorjahreszweiter geht Juan Ayuso (UAE Emirates – XRG) in Abwesenheit von Jonas Vingegaard (Visma – Lease a Bike) und seinem Kapitän Tadej Pogacar als Topfavorit in Lido di Camaiore

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Paris-Nice (2.UWT, FRA)
  • Tirreno-Adriatico (2.UWT, ITA)