Der Gewinner der Frankreich-Rundfahrt im Porträt

Bernal: “Wir Kolumbianer haben die Tour verdient“

Von Tom Mustroph aus Val Thorens

Foto zu dem Text "Bernal: “Wir Kolumbianer haben die Tour verdient“"
Egan Bernal (Ineos) wird heute in Paris als erster Kolumbianischer Toursieger geehrt. | Foto: Cor Vos

28.07.2019  |  (rsn) - Erst 22 Jahre alt ist Egan Bernal. Und er tritt schon auf wie ein Großer. Bernal gewinnt diese Tour de France aus eigenem Verdienst. In den Alpen fuhr er exakt anderthalb Minuten Sekunden Vorsprung auf seinen Teamkollegen Geraint Thomas heraus, 1:38 Minuten auf den Gesamtdritten Steven Kruijswijk (Jumbo - Visma) und 1:36 Minuten auf den famosen Vierten Emanuel Buchmann (Bora - hansgrohe). Er war auch in den Pyrenäen schneller als Thomas (59 Sekunden) und Kruijswijk (33 Sekunden); nur Buchmann hielt hier stand, kam jeweils als Schatten des Kolumbianers ins Ziel.

Weil Bernal aber auch noch auf ein Team vertrauen konnte, das mittlerweile das Fahren auf der Windkante beherrscht und zudem gut im Zeitfahren ist – 20 Sekunden schlechter zwar als Kruijswijks Jumbo – Visma-Truppe, 26 Sekunden besser aber als Bora hansgrohe – war ihm nicht beizukommen. Trotz eines für seine Verhältnisse schlechten Einzelzeitfahrens in Pau übrigens, dort verlor er 1:22 Minuten auf Thomas, 51 Sekunden auf Kruijswijk und 17 Sekunden auf Buchmann.

Mit Bernal setzt sich erstmals seit den Tagen eines Alberto Contador und Andy Schleck ein reiner Kletterer durch. Einer freilich, der Zeitfahren gelernt hat. “Der Radsport revolutioniert sich. Du kannst am schnellsten die Berge hochkommen, aber das heißt nicht, dass du die Tour de France gewinnen kannst. Als Kletterer musst du Zeitfahren lernen und auch im Flachen gut sein. Und während wir Kletterer im Zeitfahren zulegen, erlernen die Zeitfahrer das Klettern“, analysierte er in Val Thorens seinen Sport.

Es ist ein Sport, den er wohl über längere Zeit dominieren wird. “Er kann noch oft die Tour de France gewinnen“, sagte, mit ein wenig säuerlichem Gesicht, Teamkollege Thomas während der vorgezogenen Siegerpressekonferenz am Samstag. Der 33-jährige Thomas hält sich selbst auch noch für weitere Toursiege fähig. Seine Chancen, noch einmal die Rolle eines gleichberechtigten Ko-Kapitäns bei einer Tour de France auszuüben, sind aber mit dem Aufstieg Bernals rapide gesunken. Nur bei einer Tour mit sehr vielen Zeitfahrkilometern oder bei einer Verletzung oder Formkrise Bernals wird er wohl dem jungen Kolumbianer vorgezogen.

Anfänge auf dem Mountainbike

Bernal erwies sich in diesem Jahr auf der Straße als der eindeutig Beste. Angefangen hat er allerdings als Mountainbiker. Nicht als Straßenfahrer auf den ramponierten Asphaltpisten in den Anden, wie viele seiner Landsleute, sondern auf den Pfaden in der hügeligen Umgebung seiner Heimatstadt Zipaquira. Die ist in Kolumbien berühmt wegen der Kathedrale aus Salz – einem einstigen Salzbergwerk, in das die Bergleute tatsächlich eine Kirche meißelten, in der sogar Gottesdienste abgehalten werden. Man möchte sich kaum vorstellen, was passiert, wenn Bernal dort eintrifft. “Es wird leider noch ein bisschen dauern, bis wir nach Kolumbien zurückkehren. Egan wird erst noch ein paar Kriterien in Europa fahren. Das Team entscheidet dann, wann es zurückgeht“, sagte Bernals Freundin Xiomara Guerrero in Val Thorens zu radsport-news.com.

Die Frau mit den brünetten Locken teilt seit einigen Jahren bereits das Leben Bernals. “Wir haben uns beim Mountainbike kennengelernt. Wir waren im selben Team, hatten viele Wettkämpfe zusammen und viel Zeit auf den Reisen“, erzählte sie. Guerrero verfolgte selbst sogar eine Profikarriere als Montainbikerin, beim italienischen Vittoria-Lepontia Racing Team. Das Engagement kam durch den Agenten Bernals zustande. Der fuhr damals bereits Zweitdivisionär Androni Giocattoli in Italien. Xiomara Guerrero kennt also den Radsport. Und Bernal sagte auf der Siegerpressekonferenz: “Sie ist sehr wichtig für mich, weil sie an all den Vorbereitungsprozessen auf die großen Rundfahrten dabei ist. Sie teilt die Entbehrungen, die schrägen Sachen, die wir Berufsradfahrer so machen müssen.“

Mit Bernal hat ein weiterer früherer Mountainbike-Fahrer dieser Tour den Stempel aufgedrückt. Julian Alaphilippe (Deceuninck - Quick-Step), lange in Gelb, kam vom Cyclocross. Peter Sagan (Bora - hansgrohe), der Ewige Grüne, begann ebenfalls im Gelände. Und Wout van Aert (Jumbo - Visma) war bis zu seinem Horrorsturz im Zeitfahren in Pau ebenfalls einer der Protagonisten der Tour. Diese Männer, die die Explosivität des Fahrens im Wald und im Unterholz tief in ihrer Muskulatur ausgebildet haben, machten auch die 106. Frankreich-Rundfahrt explosiver als gewohnt.

Bernals Aufstieg freilich ist auch gleich dreifachem Sturzpech geschuldet: Chris Froome stürzte beim Critérium du Dauphiné und fiel für die Tour aus. Titelverteidiger Thomas geriet durch seinen Crash bei der Tour de Suisse in einen Rückstand im Trainingsprogramm. Und Bernal selber stürzte kurz vor dem Giro und brach sich das Schlüsselbein. “Das war sehr schlimm für mich. Die ganze Vorbereitung über habe ich nur an den Giro gedacht, Giro, Giro, Giro – es war nichts anderes in meinem Kopf. Dann kam der Sturz, und dann erst, nach der Genesung, rückte die Tour in meinen Fokus. Ohne den Giro, die Vorbereitung darauf und den Sturz kurz davor, wäre ich nicht in dieser Verfassung bei der Tour gelandet“, sagte er.

Sturzpech die Grundlage für den Triumph in Gelb

Sein Sturzpech war also die Grundlage für den Triumph in Gelb, die um ein Jahr vorgezogene Traumerfüllung. “Wir wussten, dass er ein Riesentalent ist, dass er viele Male die Tour gewinnen kann. Wir hatten nur nicht gedacht, dass es jetzt schon passiert“, meinte trocken Thomas.

Nun ist es jetzt passiert. Mit 22 Jahren und 196 Tagen ist Bernal der jüngste Toursieger der Neuzeit. Er ist jünger als Jan Ullrich, der war bei seinem Toursieg schon 23, jünger als Eddy Merckx und Alberto Contador (beide 24). In der Youngsterliste wird er nur von dem Franzosen Henry Cornet (1904) und dem Luxemburger Francois Faber (1909) übertrumpft. Trotz seiner Jugend wirkt Bernal aber erstaunlich reif. “Er ist erwachsener, als es sein Alter aussagt“, meinte Ineos-Teamchef Dave Brailsford zu radsport-news.com.

Die Reife machte sich auch darin bemerkbar, dass Bernal sich nicht als absoluter Topstar feiern lassen wollte, sondern sich in eine Reihe mit vielen Radsportlern Kolumbiens stellte. “Wir haben so viele gute Radprofis. Und wir Kolumbianer haben auch diese Tour de France verdient. Wir waren knapp davor mit Nairo und Rigo, doch immer kam etwas dazwischen“, verwies er auf die Landsleute Nairo Quintana und Rigoberto Uran, Tourzweite 2013 und 2015 sowie 2017. Jetzt hat der Jüngste von ihnen die Operation vollendet, als Kletterer mit Herz in einem Kalkuliererteam, das sich in diesem Jahr allerdings taktisch verändern musste.

Gespannt darf man auf die Zukunft des jungen Burschen sein. “Es ist doch wie eine Droge. Wenn du deine erste Tour gewonnen hast, willst du den Titel verteidigen. Klappt das, dann willst du deine dritte, deine vierte, deine fünfte. Das hört niemals auf“, meinte er. Diesen Hunger, dieses ganz besondere Suchtverhalten des Toursiegers aus der Stadt mit der Salzkathedrale, dürfte die Konkurrenz mit Schrecken vernommen haben. Für die Tour indes ist ein Kletterer, der sie gewinnen will, eine sehr schöne Perspektive nach all den Jahren der Zeitfahrerdominanz.

Mehr Informationen zu diesem Thema

28.07.2020Video-Rückblick: Bernals Weg zum Tour-Triumph

(rsn) - Vor genau einem Jahr gewann Egan Bernal (Ineos) als erster Kolumbianer die Tour de France. Nach einem harten Kampf über drei Wochen wurde der damals 22-Jährige am 28. Juli 2019 am Ende der 1

18.02.2020Tour-Sieger Bernal gewinnt Laureus World Sports Awards

(rsn) - Tour-de-France-Gewinner Egan Bernal (Ineos) ist als erster Radsportler seit Lance Armstrong mit dem Laureus World Sports Awards ausgezeichnet worden. Der 23-jährige Kolumbianer gewann die Wer

04.12.2019Van Aert: “Als würde ich bei lebendigem Leib brennen“

(rsn) - Wout Van Aert (Jumbo-Visma) hat sich erstmals die Aufzeichnung seines schrecklichen Sturzes bei der Tour de France angeschaut und im Rahmen der flämischen Doku-Serie Het Huis (Das Haus) ein I

15.11.2019Wetter-Wahnsinn bei Giro, Tour und WM

(rsn) - Extremwetter macht auch vor dem Radsport nicht halt. Eurosport hat in einem Video die fünf wildesten Szenen bei Radrennen zusammengefasst, die von Regen oder Schnee heimgesucht wurden.

24.10.2019Mitchelton - Scott: Vier Tour-Etappensiege als Saison-Highlights

(rsn) - Am Ende einer Saison, in der die GrandTour-Kandidaten Simon und Adam Yates sowie Esteban Chaves die großen Klassementhoffnungen nicht erfüllen konnten, zieht Mitchelton - Scott dennoch ein p

08.09.2019Van Aert sitzt erstmals seit Tour-Aus wieder auf dem Rad

(rsn) - "Guess what?! :)" - so betitelte Wout Van Aert am Sonntagmorgen eine Aktivität auf Strava. Und ja, ratet mal: Der Belgier saß erstmals seit seinem schweren Unfall im Einzelzeitfahren der Tou

06.09.2019Van Aert: OP-Fehler verlängerte die Zwangspause

(rsn) - Die Rechtskurve aus dem Tunnel unter dem Parc du Chateau heraus in die Rue d´Etigny, kurz vor der 1.000-Meter-Marke im Einzelzeitfahren der Tour de France in Pau: Maximilian Schachmann (Bora

16.08.2019Bardet wird in dieser Saison keine Rennen mehr bestreiten

(rsn) - Nach einer trotz des Gewinns des Bergtrikots enttäuschend verlaufenen Tour de France hat sich Romain Bardet (AG2R) dazu entschlossen, 2019 keine Rennen mehr zu bestreiten. "Gemeinsam mit dem

02.08.2019Van Aert: Nach zwei Operationen vor langer Rehabilitation

(rsn) - Nach zwei Operationen an seiner Oberschenkelwunde ist unklar, wann Wout Van Aert (Jumbo - Visma) wieder ins Peloton zurückkehren wird. Das teilte sein Team bereits vor einigen Tagen mit. Am D

02.08.2019Tour-Sieger Bernal kehrt nach der Clasica in seine Heimat zurück

(rsn) - Noch konnte Tour-de-France-Sieger Egan Bernal sein Gelbes Trikot seinen Fans in der Heimat nicht präsentieren. In der zu Ende gehenden Woche bestritt der Kolumbianer noch drei Kriterien in Be

02.08.2019Deceuninck - Quick-Step: Tour-Rückblick im Video

(rsn) - Mit drei Etappensiegen und 14 Tagen das Gelbe Trikot in den eigenen Reihen blickt Deceuninck - Quick-Step auf eine erfolgreiche Tour de France zurück. In einem selbst erstellten Video lässt

01.08.2019Greipel: “Die schlechteste Tour meiner Karriere“

(rsn) – André Greipel (Arkéa – Samsic) hat auf seiner Facebook-Seite seine neunte Tour de Frace bilanziert und betonte dabei, dass diese für ihn absolut nicht zufriedenstellend verlaufen ist.

Weitere Radsportnachrichten

14.11.2024Bardet: “Sinnlos, an ethischen Radsport zu glauben“

(rsn) - Es war ein durchaus ungewöhnlicher Zeitpunkt, als Romain Bardet im Sommer, kurz vor der Tour de France, sein Karriereende ankündigte. Mindestens genauso ungewöhnlich ist das Rennen, das sei

14.11.2024Quintana beendet Spekulationen, Bonnamour gibt Kampf gegen Dopingsperre auf

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

14.11.2024Rhodos-Prolog-Experte mit Sturzpech im stärksten Rennen

(rsn) – Seine elfte Saison auf KT-Niveau ragt zwar nicht als seine beste heraus, dennoch zeigte Lukas Meiler (Team Vorarlberg) auch 2024, was er drauf hat. Seine beste Platzierung gelang ihm dabei

14.11.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

14.11.2024Schädlich übernimmt die deutschen Ausdauer-Spezialisten

(rsn) – Der Bund Deutscher Radfahrer hat einen neuen Nationaltrainer auf der Bahn für den Bereich Ausdauer. Lucas Schädlich, der seit 2019 die deutschen Juniorinnen unter seinen Fittichen hatte, Ã

14.11.2024Im Überblick: Die Transfers der Männer-Profiteams für 2025

(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profimannschaften seit dem 1. August ihre Zu- und Abgänge offiziell bekanntgeben. Radsport

14.11.2024Schär wird Schweizer Nationaltrainer

(rsn) – Marc Hirschi, Stefan Küng und Co. haben einen neuen Nationaltrainer. Michael Schär wird mit Jahresbeginn 2025 die Verantwortung für die Schweizer Männer in den Bereichen Elite und U23 ü

14.11.2024Lotto Kern - Haus wird Development-Team von Ineos Grenadiers

(rsn) – In den vergangenen beiden Jahren war das deutsche Kontinental-Team Lotto Kern - Haus PSD Bank sogenannter Development-Partner von Red Bull – Bora – hansgrohe. Ab der kommenden Saison wi

14.11.2024Meisen kündigt baldiges Karriereende an

(rsn) – “Spätestens im Januar ist Schluss“, kündigte Marcel Meisen (Stevens) gegenüber RSN an. Der 35-Jährige ist in seine letzte Cross-Saison gestartet und will diese nicht mehr ganz zu End

14.11.2024Traumszenario mit kurzem Anfangsschock

(rsn) – Unverhofft kommt oft – dieser Spruch traf in dieser Saison auch auf Meo Amann zu. Mit dem Elite-Team Embrace The World in die Saison gestartet, bewarb er sich im Sommer auf einen Platz bei

13.11.2024Auch ein kurioser erster UCI-Sieg reichte nicht zum Profivertrag

(rsn) – Auch wenn er in dieser Saison seinen ersten UCI-Sieg einfahren konnte, so gelang Roman Duckert (Storck – Metropol) am Ende seiner U23-Zeit nicht der Sprung in ein Profiteam. Deshalb wird e

13.11.2024Ein Jahr geprägt von Stürzen und viel Unglück

(rsn) – Eigentlich wollte Mikà Heming (Tudor Pro Cycling) 2024 so richtig durchstarten. Die Klassikerkampagne in Belgien hatte er sich als erstes Saisonhighlight gesetzt, doch diese endete für den

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine