Kellers Guadeloupe-Tagebuch

Was ist schon Paris-Roubaix im Vergleich zur Tour de Guadeloupe?

Von Hermann Keller

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Hermann Keller (2.v.r) und seine Teamkollegen von Embrace the World | Foto: Team Embrace the World

10.08.2022  |  (rsn) - Das Tolle an Rundfahrten wie dieser sind auch der rege Austausch mit anderen Teams und die Begegnungen mit alten Bekannten. So fährt Matias Fitzwater, ein Neuseeländer, der 2019 mit uns als Gastfahrer die Tour du Maroc gefahren ist, für das Team des letztjährigen Gesamtsiegers (Euro Cycling Trips). Eigentlich sind die Gespräche mit ihm recht witzig, heute Morgen fand ich es aber wenig lustig, als er super überrascht war, als ich meinte, ich würde gerne in die Spitzengruppe. Er erklärte mir danach, die Etappe sei deutlich schwerer als sie im Roadbook aussieht und dass es wohl eher ein harter Tag werden würde.

Beim nochmaligen Hinsehen waren wir uns dann auch nicht mehr so sicher, wie schwer der Tag werden würde, da es insgesamt doch sieben Bergwertungen gab. Unseren Plan, die Gruppe zu besetzen, änderten wir aber nicht. Direkt nach dem Start ging ich dann auch schon in die Offensive und konnte mich mit mehreren Fahrern absetzen. Sofort wuchs die Lücke und ich war schon überrascht, wie einfach es heute war, in die Gruppe zu kommen.

Problematisch an der Sache war nur: Die Gruppe lief nicht wirklich. Dennoch hielten wir uns genau bis zur ersten Bergwertung, was wir vor allem Alexys Brunel zu verdanken hatten. Bis in den Mai war er noch beim UAE Team unter Vertrag. Aber was ist schon Paris-Roubaix im Vergleich zur Tour de Guadeloupe…? jedenfalls war er der Motor der Gruppe, aber auch er konnte sich nicht gegen die Tempoarbeit der Jungs von Martinique und Corratec behaupten.

Zurück im Feld konnte ich dann erfreut feststellen, dass wir es heute wirklich deutlich besser hinbekommen hatten, uns alle vorne zu halten und auch in sehr vielen Gruppen vertreten waren. So wirklich absetzen konnte sich leider keine davon. Als sich dann endlich die Gruppe des Tages lösen konnte, waren wir mal wieder nicht dabei. Im Feld wurde es daraufhin etwas ruhiger und wir fuhren angeführt vom Euro Cycling Trips Team, welches auch den Sprung in die Gruppe verpasst hatte und sich die Chancen auf den Gesamtsieg mit dem Vorjahressieger Bennet nicht komplett verbauen wollte, in Richtung der Zielrunde.

Wir alle reihten uns hinter den nachführenden Teams ein und konnten so relativ entspannt bis zur Zielrunde fahren. Dort angekommen, wurde mir klar, dass ich die Strecke von der letzten Etappe der Ausgabe 2019 kannte. Schmale Straßen, steile aber eher kürzere Anstiege und super viele Zuschauer. Marcel (Peschges) wurde noch, kurz bevor es auf die Runde ging, zum Flaschen holen an das Auto geschickt, aber als wir dann auf der Runde waren, war ich mir nicht mehr sicher, ob wir ihn je wiedersehen würden.

Das Feld war superlang gezogen und hinzu kam eine Bergwertung der 3. Kategorie mit vier Extraflaschen für die Teamkollegen. Ich denke, es war trotzdem eine gute Maßnahme, allein schon deshalb, weil er nun eine bessere Vorstellung hat, wie sich für mich so eine Bergwertung anfühlt. An der Bergwertung war es unglaublich, wie viele Zuschauer dort waren und wie begeistert sie uns alle anfeuerten. So macht Radrennen selbst am Berg super viel Spaß!

Gerade als ich meine Befürchtung mit Thomas (Lienert) teilte, tauchte Marcel schon wieder mit den Flaschen auf und wir fanden uns weiter vorne ein. Irgendwann bekamen wir die Info, dass die Spitzengruppe schon sieben Minuten Vorsprung hatte. Daraufhin wurde im Feld das Tempo stark angezogen und der Vorsprung begann ganz langsam zu schmelzen. Als dann aber beim Tempo machenden Euro Cycling Trips Team die Fahrer ausschwenkten und sich zurückfallen ließen, war schon fast klar, dass die sechs Minuten nicht mehr auf den noch verbleibenden 55 Kilometern zugefahren werden könnten.

Als dann Matias ausscherte und entkräftet nach hinten durchgereicht wurde, schrieb ich das dem Karma zu, da er sich über meine Bergauffahrfähigkeit lustig gemacht hatte. Als das Feld nicht mehr kontrolliert wurde, begannen auch sehr schnell wieder die Attacken. Sehr erfreut war ich, als sich eine Gruppe aus dem Staub machte und ich darin die glänzend blauen Schuhe von Thomas ausmachen konnte.

Nochmal frischen Wind bekam die Verfolgung, als ein Fahrer des Premier-Tech U23 Teams am Straßenrand mit zwei Platten stand und somit die Mannschaft ihren Mann in der Spitzengruppe verlor. Sofort reihten sie sich vorne ein und das Tempo wurde merklich angezogen. Als es das zweitletzte Mal zur Bergwertung hochging, attackierte das Weiße Trikot von Premier Tech genau in dem Moment, als Thomas in seiner Gruppe den Parkschein gezogen hatte und in das Feld zurückfiel. Nach der Etappe meinte er dazu nur, es sei zwar supercool gewesen in der Verfolgergruppe für zwei Runden dabei gewesen zu sein, ihm wurde dort wohl aber relativ schnell klar, dass es nicht seine Kragenweite sei. In der Gruppe waren der Serbische Meister, der Gewinner des Zeitfahrens am ersten Tag, der Drittplatzierte des gestrigen Tages und Thomas, 47. des ersten Zeitfahrens.

Der junge Kanadier im Weißen Trikot konnte sich nicht lösen, und so fuhren wir auch in der letzten Runde mit knapp fünf Minuten Rückstand über die Bergwertung. Im anschließend welligen Teil kam es wieder zu mehreren Attacken, so konnte sich Oli (Mattheis) mit einer Gruppe davonschleichen. Oli wurde dann zwar dennoch nur 22., allerdings machte er fast eine Minute auf einige Jungs im Gesamtklassement gut.

Morgen wird nochmal superschwer. Zur Halbzeit der Etappe kommt ein sehr langer Anstieg und zum Ende dann nochmal ein sehr langer und steiler Schlussanstieg. Wir (Marcel, Fabian Kruschewski, Thomas und ich) hoffen den Anstieg in der Mitte in der ersten Gruppe zu überleben oder gar zuvor schon in eine Spitzengruppe zu gelangen, um dann in der Anfahrt zum Schlussanstieg Oli bestmöglich unterstützen zu können. Er selbst teilt unsere Sorgen zum “Mittelanstieg“ nicht.

Liebe Grüße und vielen Dank fürs Lesen,
Hermann

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