Erfolge und Widersprüche des Corona-Konzepts

Die Tour-Bubbles werden aufgelöst

Von Tom Mustroph

Foto zu dem Text "Die Tour-Bubbles werden aufgelöst"
Tour 2020: Mobiles Covid-Labor | Foto: Cor Vos Tom Mustroph

21.09.2020  |  (rsn) - Die Tour de France ist beendet. Die Bubbles werden aufgelöst. Neue werden errichtet, für die WM, die BinckBank Tour, den Giro d'Italia und die großen Klassiker. Primoz Roglic kann jetzt Trost suchen bei seiner Ehefrau Lora Klinc, die mit Bruder und Camper bei der Tour war, aber nur vom Straßenrand aus Blicke auf den Gatten werfen konnte. "Ich wusste, wo sie stehen, aber manchmal habe ich sie unter den Zuschauern auch nicht entdeckt", blickte der Tour-Zweite auf diese speziellen Aspekte der Pandemie-Tour zurück.

Teamkollege George Bennett arrangierte am Col de Peyresourde extra ein Treffen mit Freundin Caitlin Fielder. Sie lief eine Weile neben ihm, und weil sie Ultramarathonläuferin ist, und Bennett auch mal kurz Tempo rausnahm, hatten sie sogar einige Minuten zusammen. Bis zur der nächsten Testserie - Bennett will zur WM - können aus den Minuten dann Stunden, sogar Tage werden.

Ihre Freunde, Frauen, Freundinnen und Kinder nicht zu sehen, ihre Nächsten also an Start und Ziel nicht um sich haben, für keine Umarmung, keinen Kuss, war hart für viele Fahrer. Im Hotel durften sie nicht einmal mit Fahrern oder Mechanikern anderer Teams, bei denen sie früher waren, zusammensitzen. Jedenfalls verbot das Reglement das.

Und die meisten hielten sich auch daran - ein Grund für den relativen Erfolg von "Operation Bubble". Kein Fahrer war positiv an den vier obligatorischen Tests. Vier Betreuer wurden vor dem Rennen zur Errichtung der Hygiene-Blase nach Hause geschickt, zwei davon waren positiv getestet, die anderen beiden waren die Zimmerkollegen. Vier weitere Betreuer, ein Mitarbeiter der Organisation und Tourchef Christian Prudhomme blieben am ersten Ruhetag mit positiven Resultaten im Testnetz hängen und mussten, zumindest zeitweise, das Rennen verlassen.

Wieviele positive Befunde es im Tourumfeld gab, wurde nicht kommuniziert

Ob Fahrer extra getestet wurden, weil sie möglicherweise symptomatisch waren, verriet die ASO allerdings nicht. Im mobilen Covid-Testlabor der Tour gab es jedenfalls pro Tag zwischen fünf und 20 Tests, sagte ein ASO-Verantwortlicher für das Testregime auf Anfrage von radsport-news.com. "Manche waren für symptomatische Personen, andere für Ersatzleute bei der Organisation", erklärte er.

Wieviele positive Befunde es im Tourumfeld gab, wurde nicht kommuniziert. Nur anekdotische Hinweise gibt es. Toursprecher Francois Belay, der mit seinem Mikrofon für Stimmung an der Strecke sorgt, wo auch immer die Lautsprecher montiert sind, durfte beispielsweise wegen eines positiven Tests nicht zum Grand Départ und nahm erst später, nach einem negativem Test, wieder seine Arbeit auf. Wenn die Tour sich zum Modell der sicheren Durchführung einer Großveranstaltung erklären möchte, muss sie allerdings auch auf diesem Feld transparent sein und die Anzahl positiver Tests und symptomatischer Verdachtsfälle publizieren.

Ein komplettes Fazit über den Erfolg der Corona-Tour kann rein faktisch auch erst dann gezogen werden, wenn die gestiegenen Infektionszahlen in Frankreich allgemein auf Auswirkungen durch die Tour analysiert werden. Gab es an den Tagen, an denen die Tour in den jeweiligen Etappenorten weilte, signifikante Anstiege der Infektionen? Haben Personen, die nachgewiesenermaßen bei der Tour waren, das Virus an ihre Heimatorte gebracht? Natürlich, solche Feinanalysen sind kompliziert. Nicht jeder Fall wird so auch erfasst. Für eine nachhaltige Modellwirkung müssten Organisatoren und Gesundheitsbehörden aber genau das leisten.

Denn zu beobachten war auch, dass die behauptete Realität des Hygiene-Konzepts nicht immer und nicht in allen Punkten mit der physischen Realität des Rennens übereinstimmte. Laut Hygienekonzept sollten Fahrer und Betreuer Einzelzimmer haben. Da lachte mancher Teamchef nur sarkastisch auf. Wie gewohnt gab es viele Doppelzimmer. Trennung von Fahrern und Medien war ebenfalls gefordert.

Brailsford von der Polizei gestoppt

In der Mixed Zone hielt man sich brav daran, verlängerte Mikrofone und Aufnahmegeräte mit Selfiesticks und Einbeinstativen. Manch ein Journalist wunderte sich dann aber, dass er im selben Hotel eincheckte, vor dem schon die Teamwagen platziert waren. Bei einer Etappe befanden sich sogar Pressezentrum und Teamhotel in einem einzigen Gebäudekomplex. Flaschen sollten auch nicht weggeworfen werden, der Umwelt zuliebe und um Schmierinfektionen vorzubeugen. Als in der dritten Woche ein paar Halbwüchsige im Ziel lautstark Flaschen forderten, kamen Fahrer diverser Teams dem Wunsch nach. Die kleine Clique machte fette Beute. Und weil die Flaschen ja aus dem Inneren einer streng kontrollierten Blase kamen, war das Infektionsrisiko auch ziemlich gering.

Ineos-Teamchef David Brailsford erwischte man auf ganz kuriose Weise beim zeitweiligen Verlassen der Hygiene-Blase. Brailsford wurde, so berichtete die Zeitung "Liberation", von der Polizei festgehalten, als er mit seinem Rad zum Grand Colombier hochstiefeln wollte. Der Gipfel war für das Publikum gesperrt, Brailsford wurde für einen normalen Fan gehalten - und hatte sich ja bis zum versuchten Betreten der abgeschotteten Zone auch wie ein solcher verhalten.

Wer angesichts all dieser Widersprüche und Regelüberschreitungen 'Skandal!' hätte schreien wollen, hätte inzwischen einen wunden Rachenraum. Das Schreien wird sicher kommen, sollten im Nachhinein doch noch positive Fälle bekanntwerden, die auf die Tour zurückzuführen sind. Stand jetzt hat die Tour aber bewiesen, dass es zumindest möglich ist, einen 3.000 Personen umfassenden Tross über mehr als 3.000 Kilometer Strecke drei Wochen lang durch rote Zonen eines insgesamt beträchtlich infizierten Landes ziehen zu lassen, ohne dass in dessen Innern das Virus viele Opfer findet.

Gezeigt hat sich aber auch, dass zwischen Konzepten und echtem Leben Lücken klaffen. Das wusste man schon vorher. In der Neigung zum Durchregeln in der Pandemie ist die Erinnerung an diese Kluft aber sinnvoll.

Mehr Informationen zu diesem Thema

16.06.2021Madiot: “Wir hätten Pinot früher aus der Tour nehmen sollen“

(rsn) - Sein bisher letztes Rennen bestritt Thibaut Pinot (Groupama - FDJ) vor mittlerweile zwei Monaten, als er die Tour of the Alps unter ferner liefen auf Rang 60 beendete. Danach entschied der Fra

23.12.2020Bernal wieder schmerzfrei auf dem Rad

(rsn) - Egan Bernals Genesung macht offensichtlich deutliche Fortschritte. Wie der Tour-de-France-Sieger von 2019 gegenüber dem Internetportal primertiempo.co sagte, könne er wieder schmerzfrei trai

11.12.2020Dumoulin zuversichtlich: “Mir fehlt nur noch ein Prozent“

(rsn) - 2020 war für Tom Dumoulin ein Jahr mit vielen Tiefen und nur wenigen Hochs. Nach dem mit großen Hoffnungen verbundenen Wechsel von Sunweb zu Jumbo - Visma warf zunächst ein bakterieller Dar

15.11.2020Pogacar lobt Roglic als slowenischen Vorreiter

(rsn) - Tadej Pogacar (UAE - Team Emirates) hätte seinem Landsmann Primoz Roglic (Jumbo - Visma) den Tour-de-France-Sieg gegönnt. Das sagte der 22-jährige Slowene im Gespräch mit der spanischen Sp

27.10.2020Bernals Genesung dauert länger als gedacht

(rsn) - Egan Bernals Rückenprobleme, die ihn zum Ausstieg bei der Tour de France und zum vorzeitigen Saisonende zwangen, sind offensichtlich ernsthafter als bisher angenommen. Wie der Kolumbianer geg

10.10.2020Bernal: “Ich hatte eine schwierige Zeit“

(rsn) - Der bei der Tour de France vorzeitig ausgestiegene Egan Bernal (Ineos Grenadiers) wird in diesem Jahr keine Rennen mehr bestreiten. Das kündigte der Kolumbianer auf Instagram an und bestätig

03.10.2020War der Toursieg für Roglic im Zeitfahren unmöglich?

(rsn) - Radsportjournalist Thijs Zonneveld von der niederländischen Zeitung AD hat nach eigenen Angaben Einblick in die Leistungswerte des Tour-Zeitfahrens von Primoz Roglic (Jumbo – Visma) erhalte

24.09.2020Pogacar: “Die Saison ist noch lange nicht vorbei“

(rsn) - Nach seinem Tour-de-France-Triumph hat Tadej Pogacar (UEA - Team Emirates) schon die nächsten großen Ziel im Blick. "Ich muss konzentriert und fit bleiben für die Weltmeisterschaft und die

23.09.2020Viviani: Beim Giro zurück in die Erfolgsspur?

(rsn) - Im letzten Jahr gewann Elia Viviani im Trikot von Deceuninck - Quick-Step  bei der Tour de France eine Etappe und fuhr auf drei weiteren Teilstücken aufs Podium. Die 107. Austragung lief fÃ

22.09.2020UAE Emirates streicht das mit Abstand meiste Preisgeld ein

(rsn) - Kein Wunder: Durch den Gesamtsieg von Tadej Pogacar, der auch das Weiße Trikot als bester Jungprofi sowie die Bergwertung und drei Etappen gewann, sowie den Etappensieg von Alexander Kristoff

21.09.2020Phänomen Pogacar - zu schnell, um wahr zu sein?

(rsn) - Tadej Pogacar hat mit seinem Toursieg nicht nur Rekorde gebrochen, sondern damit auch Fragen aufgeworfen. Ist der Slowene einfach ein Jahrhunderttalent, für den die üblichen Maßstäbe nicht

21.09.20201975 zog die Tour vom Prinzenpark auf die Champs-Élysées um

(rsn) - Als die 107. Tour de France am 29. August 2020 startete, konnte in Zeiten der Corona-Pandemie niemand davon ausgehen, dass sie drei Wochen später am 20. September auch die Champs Élysées in

Weitere Radsportnachrichten

26.04.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morg

26.04.2024Highlight-Video der 3. Etappe der Tour de Romandie

(rsn) – Brandon McNulty (UAE Team Emirates) hat das Einzelzeitfahren der 77. Tour de Romandie gewonnen. Der US-Meister in dieser Disziplin benötigte für den 15,5 Kilometer langen Parcours rund um

26.04.2024Helferrolle bei der Vuelta: Vorjahresfünfte Bauernfeind kränkelt

(rsn) – Im vergangenen Jahr hat eine Deutsche bei der Vuelta Espana Femenina die Weltspitze überrascht und ist bei den Bergankünften am Mirador de Penas Llanas und an den Lagos de Covadonga mit de

26.04.2024Teutenberg büßt Führung ein, peilt nun aber Gesamtwertung an

(rsn) - Auf der 2. Etappe der Tour de Bretagne (2.2) hat Tim Torn Teutenberg (Lidl - Trek Future Racing) das hellgrüne Trikot des Gesamtführenden abgeben müssen. Der 21-Jährige aus Mettmann, der

26.04.2024Bike Aid nach Türkei-Königsetappe “etwas enttäuscht“

(rsn) - Aufgrund der starken Leistungen an den ersten fünf Tagen und der guten Ausgangssituation für die Kletterer im Team ging Bike Aid optimistisch in die Königsetappe der Türkei-Rundfahrt (2.P

26.04.2024McNulty gewinnt Zeitfahren, Teamkollege Ayuso holt Gelb

(rsn) – 142 Fahrer lang musste Brandon McNulty (UAE Team Emirates) warten, ehe er endgültige Gewissheit darüber hatte, dass ihm seine 20:06 Minuten für das 15,5 Kilometer lange Zeitfahren auf der

26.04.2024Vermeersch von Lotto - Dstny zum UAE Team Emirates?

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Profiradsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder RÃ

26.04.2024Van den Broek nach Sieg auf Königsetappe neuer Spitzenreiter

(rsn) – Mit seinem Sieg auf der Königsetappe hat Frank van den Broeck (dsm-firmenich – PostNL) die Führung im Gesamtklassement der 59. Türkei Rundfahrt (2.Pro) übernommen. Der 23-jährige Nie

26.04.2024Die Startliste des Einzelzeitfahrens der Tour de Romandie

(rsn) – Der Belgier Stan Van Tricht (Alpecin – Deceuninck) eröffnet um 14.24 Uhr das Einzelzeitfahren der 77. Tour de Romandie, bei dem rund um Oron 15,5 Kilometer auf dem Programm stehen. Die S

26.04.2024Türkei: Van Poppel zur Königsetappe nicht mehr angetreten

(rsn) – Danny van Poppel (Bora – hansgrohe) ist nicht mehr zur Königsetappe der Türkei-Rundfahrt angetreten. Wie sein Team auf X meldete, haben sich der Niederländer am Morgen unwohl gefühlt.

26.04.2024Vollering, ´ELB´ & Niewiadoma kämpfen um erste GT der Saison

(rsn) – Die erste Grand Tour der Saison beginnt nicht erst am 4. Mai in Italien, sondern bereits am Sonntag in Valencia. Zugegeben: Die Vuelta Espana Femenina (28. April - 5. Mai) ist keine dreiwöc

26.04.2024Evenepoel nach schwerem Sturz auf dem Weg zurück

(rsn) – Drei Wochen nach seinem schweren Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt hat Remco Evenepoel (Soudal – Quick-Step) erstmals wieder im Freien trainiert. Wie der Zeitfahrweltmeister auf der Train

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Tour de Romandie (2.UWT, SUI)
  • Radrennen Männer

  • Gracia Orlová (2.2, CZE)
  • Tour de Bretagne (2.2, FRA)
  • Tour of the Gila (2.2, USA)