Bilanz der 70. Polen-Rundfahrt

Nicht die großen Stars spielten die erste Geige

Von unserem Korrespondenten Wolfgang Brylla

Foto zu dem Text "Nicht die großen Stars spielten die erste Geige "
Pieter Weening (Orica-GreenEdge) hat die 70. Polen-Rundfahrt gewonnen. | Foto: ROTH

05.08.2013  |  (rsn) – Erstmals in ihrer über 80-jährigen Geschichte fiel der Startschuss zur Polen-Rundfahrt außerhalb der Landesgrenzen. Die 70. Auflage der Tour de Pologne startete in der norditalienischen Region Trentino an, wo das Peloton zwei schwere Dolomiten-Etappen in Angriff nehmen musste.

Außer diesem zweitägigen Italien-Ausflug gab es bei dem einzigen polnischen WorldTour-Rennen eine weitere Neuheit. Sein Debüt feierte der vom Radsportweltverband UCI konzipierte Race Appeal-Modus, der unter anderem nur sechsköpfige Teams vorsah.

Aus sportlicher Sicht war die diesjährige Polen-Rundfahrt alles in allem ein Erfolg für die Veranstalter. Mit am Start waren Hochkaräter wie Vincenzo Nibali (Astana), Fabian Cancellara (RadioShack-Leopard) oder Bradley Wiggins (Sky). Die erste Geige spielten allerdings andere Fahrer.

Schon als es bergauf Richtung Madonna di Campiglio und zum Passo Pordoi ging, zogen die Stars den Kürzeren. Zwar versuchte Giro-Sieger Nibali, am zweiten Renntag in einer Ausreißergruppe das Renngeschehen zu bestimmen, aber der Italiener, der sein erstes Rennen seit dem Giro d’Italia bestritt, war ohne größere Ambitionen und vor allem weit von seiner Frühjahrsform entfernt.

Ins Rampenlicht fuhren sich dagegen andere - auch polnische Fahrer. Sehr aktiv waren Bartosz Huzarski (NetApp-Endura) und Rafal Majka (Saxo Tinkoff), der auf dem Passo Pordoi die Führung in der Gesamtwertung übernahm. ,,Ich bin stolz, dass ich in diesem Gelben Trikot nach Polen fahren kann", sagte Majka, der aber nicht für den erhofften Heimsieg sorgen konnte und letztlich Vierter wurde.

Schade war, dass den polnischen Fernsehzuschauern die Zeremonie und wichtige Informationen vorentahlten wurden. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen beendete seine Übertragung mit der Mitteilung, dass der Gewinner der Passo Pordoi-Etappe wahrscheinlich neuer Gesamtführender sein würde. Dem war allerdings nicht so: Christophe Riblon (Ag2R) feierte den Tagessieg, aber Majka übernahm Gelb.

Überhaupt musste das Öffentlich-Rechtliche, dessen Funksignal auch an andere Sendeanstalten verkauft wurde, viel Kritik über sich ergehen lassen. Die Kommentatoren beispielsweise hatten Probleme, die Fahrer in den Spitzengruppen zu identifizieren. Die Zeitabstände wurden nicht korrekt angeben und gar nicht eingeblendet. Die oftmals sinnfreien Gespräche im Studio brachten das Fass zum Überlaufen und sorgten dafür, dass man sich in Polen über die Fernsehleute lustig machte.

Zurück aber zum Sportlichen: Auf dem Passo Pordoi verlor Diego Ulissi (Lampre Merida) sein Leadertrikot an Majka, aber den Tagessieg holte sich Riblon, der die Alpe d'Huez bei der Tour de France für sich entschieden hatte. ,,Schon während der Grand Boucle habe ich den Entschluss gefasst, an der Polen-Rundfahrt teilzunehmen. Hier gibt es im Grunde vier Bergetappen, die mir liegen sollten. Ich werde sicher versuchen, um den Gesamtsieg mitzufahren", hatte der 32-jährige Franzose vor dem Rennen gesagt.

Wie gesagt, so getan. Nach den beiden Flachetappen in Rzeszow und Katowice, bei denen die BMC-Fahrer Thor Hushovd und Taylor Phinney glänzten, kam es zum erneuten Duell am Berg. Die Zakopane-Etappe hatte wie immer einen besonderen Rennverlauf.

Obwohl das Feld mehrmals den Glodowka-Anstieg bewältigen muss, kommt es oft zu einem Endspurt einer kleineren Führungsgruppe. Diesmal hatte wieder Hushovd die Nase vorn. ,,Ich mag solche schweren Sprints aus einer dezimierten Spitzengruppe, die noch ein bisschen berghoch gehen", freute sich der Norweger, der auf dem Podium als Geschenk einen traditionellen Tatra-Bergstock bekam.

Majka musste die Führung an den Basken Ion Izaguirre (Euskaltel-Euskadi) abgeben, Riblon war ihnen dicht auf den Fersen. Auf der darauffolgenden Bukowina-Etappe mit zehn Anstiegen der höchsten Kategorie kam es zu einem ersten Showdown. Zahlreiche heimische Fahrer attackierten, darunter Tomasz Marczynski (Vacansoleil-DCM), der seine Führung in der Bergwertung verteidigen wollte. Probleme mit seinem Schuh machten ihm allerdings seinen Plan fast zunichte.

,,Ich musste lange Zeit auf meinen Teamwagen am Straßenrand warten, den mit dem kaputten Schuh konnte ich nicht weiterfahren. Dann biss ich die Zähne zusammen und raste zu der Spitze wieder zurück. Es war ein verrücktes Rennen", erzählte Marczynski, der am Ende wie 2012 bereits das Bergtrikot gewann.

Noch turbulenter ging es in der Schlussphase der Etappe zu. Riblon griff an, an seinem Hinterrad klemmte sich nur Darwin Atapuma (Colombia), der schon am Vortag in einer Ausreißergruppe vertreten war. Auf Druck diverser Teamleitern wurde er aus dieser allerdings „herausgemobbt“, da er in der Gesamtwertung nicht ohne Chancen war. Auf der Etappe um Bukowina konnte sich der Kolumbianer dann revanchieren.

Atapuma war den ganzen Tag in der Führungsgruppe unterwegs und hatte trotzdem noch die Kraft, um sich im Finale gegen Riblon durchzusetzen. ,,Ich habe Atapuma gesagt, komm, lass uns zusammenarbeiten, vielleicht holen wir noch einige Sekunden mehr heraus. Er wollte aber nicht, er war erschöpft. Wenn ich morgen die Rundfahrt um diese fünf möglichen Sekunden verliere, die ich heute hätte kriegen können, werde ich sehr sauer sein", sagte der neue Spitzenreiter Riblon nach der Etappe.

Am Ende fehlten ihm keine fünf, sondern sechzehn Sekunden zum Gesamtsieg, den sich überraschenderweise Pieter Weening nach dem Abschlusszeitfahren in Krakau sicherte. ,,Es war eine ziemlich schwere Woche. Ich freue mich sehr, schließlich gewann ich ein WorldTour-Rennen. Ehrlich gesagt, habe ich nicht an den Gesamtsieg gedacht. Ich wollte nur ein gutes Zeitfahren abliefern und mein Bestes tun", kommentierte der Niederländer vom Team Orica-GreenEdge.

Im Kampf gegen die Uhr konnte sich Wiggins über seinen ersten Sieg nach einem Jahr freuen. ,,Ja, klar, das freut mich. Seit sieben Wochen habe ich mich gezielt auf dieses Zeitfahren vorbereitet. Für mich stand die Gesamtwertung niemals zur Debatte", sagte der Brite.

Platz zwei in der Endabrechnung belegte Izaguirre (+ 0:13), Dritter wurde Riblon vor Majka (+ 0:26), der zum Zeitfahren mit einer Knieverletzung antrat, die er sich bei einem Sturz auf der Bukowina-Etappe geholt hatte. ,,Ich bin nicht enttäuscht, ich bin mit meiner Leistung zufrieden. Es ist schwer, wenn jeder auf dich guckt und von dir alles Mögliche erwartet. Es ist schwer, unter Druck zu fahren", berichtete der 23-Jährige, der auch bei der Vuelta a Espana starten wird.

Nach Meinung von Renndirektor Czeslaw Lang zeigte sich das Podium der Tour de Pologne ,,auf einem Welt-Level". Dass es wieder nicht zu einem polnischen Gesamtsieg reichte, spielte keine große Rolle. Wenn sich Majka, Michal Kwiatkowski (Omega Pharma-Qick-Step) und andere polnische Jungprofis wie Lukasz Wisniowski (Etixx-Ihned) oder Pawel Poljanski (jetzt Stagiaire bei Saxo Tinkoff) weiter so entwickeln wie bis jetzt, dann muss man sich um die Zukunft des polnischen Radsports keine Sorgen machen.

Zumal Polen in die Top Ten in der Nationenwertung der Weltrangliste der UCI gerückt ist und für die Rad-WM in Florenz das volle Kontingent von neun Fahrer nominieren kann. Wer das vor zwei Jahren vorhergesagt hätte, dem hätte man einen Vogel gezeigt.

Und zum Schluss ein paar Worte zu der Race Appeal-Reform. Die Idee mit den sechsköpfigen Mannschaften und mit den Zeitgutschriften ist an sich nicht schlecht, aber die Ausführung bei der Polen-Rundfahrt ließ viel zu wünschen übrig. Die Fahrer bemängelten, dass es schwer sei, die Übersicht und Kontrolle zu behalten.

Am Anfang sorgten dazu noch die Zeitbonifikationen für viel Durcheinander. Wer hat wie viele Punkte, was bringt ihm eine Aktion, wer trägt das virtuelle Führungstrikot? Die virtuelle Gesamtwertung musste immer aufs Neue aktualisiert werden, was nicht immer geschah, obwohl dies verpflichtend im Reglement stand. Aller Anfang ist schwer, lässt sich dazu nur sagen,

Im Endeffekt fiel die Entscheidung sowieso im Zeitfahren von Krakau. Große Radrennen gewinnt man eben in den Bergen und im Zeitfahren, und nicht dank Zeitgutschriften.

Weiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößern

Mehr Informationen zu diesem Thema

04.08.2013Wiggins gelingt in Krakau der erste Sieg seit einem Jahr

(rsn) - Die diesjährige Auflage der Polen-Rundfahrt endete mit einem 37 Kilometer langen Zeitfahren in der schönen Krakauer Innenstadt. Auf dem Kopfsteinpflaster auf dem historischen Altmarkt konnt

03.08.2013Weening sichert sich Gesamtsieg, Wiggins gewinnt Zeitfahren

(rsn) – Am letzten Tag der 70. Polen-Rundfahrt ist das Gesamtklassement nochmals kräftig durcheinander gewirbelt worden. Nach dem 37 Kilometer langen Einzelzeitfahren der 7. Etappe von Wieliczka na

03.08.2013Riblon will den Gesamtsieg, König rehabilitiert sich

(rsn) - Nach dem enttäuschenden Auftritt von Leo König auf den beiden Dolomiten-Etappen der Polen-Rundfahrt, entschied sich die deutsche Mannschaft NetApp-Endura notgedrungen ihre Rennstrategie zu Ã

01.08.2013Race Appeal nur eine „Einjahresfliege“?

(rsn) – Bei der diesjährigen Auflage der Polen-Rundfahrt entschloss sich der Weltradsportverband UCI, sein neues Rennkonzept Race Appeal auszuprobieren. Nur die Veranstalter der Tour de Pologne sa

01.08.2013Phinney im Cancellara-Stil zum ersten Sieg in einem Straßenrennen

(rsn) – Mit einer taktischen Finesse hat sich das BMC-Team am Mittwoch den zweiten Sieg in Folge bei der diesjährigen Polen-Rundfahrt gesichert. Als die Konkurrenz im Finale der 4. Etappe in Katowi

31.07.2013Phinney durchbricht in Katowice die Serie der Sprinter-Siege

(rsn) - Bis jetzt wurden alle Etappen der Polen-Rundfahrt, die in Katowice zu Ende gingen, im Endspurt aus dem großen Feld heraus entschieden. Auch am Mittwoch schien es, dass sich dieses Szenario wi

31.07.2013BMC mit intaktem Teamgeist zurück in die Erfolgsspur

(rsn) – Nach der Pleite bei der Tour de France und der danach erfolgten Trennung von Teamchef John Lelangue findet die BMC-Equipe wieder zurück in die Erfolgsspur. Ende Julit gewann Greg Van Averma

29.07.2013Majka: Im Gelben Trikot und mit Stolz in die polnische Heimat

(rsn) - Ob Rafal Majka seine Führung in der Gesamtwertung der Polen-Rundfahrt auch in der Heimat wird verteidigen können? Auf der gestrigen 2. Etappe der Tour de Pologne, die auf dem legendären Pas

27.07.2013Huzarski erobert in den Dolomiten für NetApp-Endura das Bergtrikot

(rsn) - Das deutsche NetApp-Endura-Team kann mit dem Auftakt der 70. Polen-Rundfahrt zufrieden sein. Die 1. (Berg)-Etappe in der italienischen Region Trentino gewann zwar der Italiener Diego Ulissi (L

27.07.2013Ulissi nach Auftaktsieg in Madonna di Campiglio im Gelben Trikot

(rsn) – Diego Ulissi (Lampre-Merida) hat im italienischen Trentino den Auftakt der 70. Polen-Rundfahrt gewonnen. Der 24 Jahre alte Italiener setzte sich am Samstag auf der 1. Etappe über 183,5 Kilo

27.07.2013Nibali freut sich schon auf Tour-Duell 2014 mit Froome

(rsn) – Nach einer zweimonatigen Pause kehrt Giro-Sieger Vincenzo Nibali (Astana) bei der Polen-Rundfahrt in den Wettkampfmodus zurück. Der 28 Jahre alte Italiener nutzt das Rennen, um sich auf die

27.07.2013Bei der Polen-Rundfahrt schon die Vuelta im Blick

(rsn) – Für das NetApp-Endura-Team ist die heute im italienischen Rovereto beginnende 70. Ausgabe der Polen-Rundfahrt ein wichtiger Faktor in der Vorbereitung auf die am 24. August beginnende Vuelt

Weitere Radsportnachrichten

04.07.2025Teams packen zur Tour wieder Sondertrikots aus

(rsn) – Es ist inzwischen ein jährlich wiederkehrendes Ritual: Kurz vor der Tour de France präsentieren einige Mannschaften Sondertrikots für die drei Wochen in Frankreich. Weil zum Saison-Highli

04.07.2025Brilliert Milan bei seiner Premiere?

(rsn) – Der diesjährige Grand Départ bietet erstmals seit 2020 wieder den Sprintern die Chance, das Gelbe Trikot zu erobern, denn gleich in Lille stehen die Zeichen am Ende der 1. Etappe auf Masse

04.07.2025Die Aufgebote für den 36. Giro d´Italia Women

(rsn) – Mit dem Giro d’Italia Women (6. – 13. Juli / 2.WWT) steht einen Tag nach dem Start der Tour de France der Männer die zweite Grand Tour der Frauen an. Die 36. Ausgabe der Italien-Rundfa

03.07.2025“Misserfolge schärfen dich“: Roglic lacht seine Dämonen an

(rsn) – Zum siebten Mal in seiner beeindruckenden Karriere geht Primoz Roglic (Red Bull – Bora – hansgrohe) bei der Tour de France an den Start. Die einzige deutsche Équipe im Peloton will von

03.07.2025Van der Poel sieht Chancen für eine erfolgreiche Tour

(rsn) – Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck) gehört einmal mehr zu den Top-Stars, die bei der Tour de France an den Start gehen. Wirklich in Erscheinung treten konnte er in den letzten dre

03.07.2025Arndt hofft nach Wirbelbruch auf Comeback noch 2025

(rsn) – Nikias Arndt (Bahrain Victorious) wird am Samstag in Lille zwar nicht am Start der Tour de France stehen, doch einige Tage vor der Frankreich-Rundfahrt gibt es dennoch gute Neuigkeiten vom 3

03.07.2025Auch bei der 112. Tour wird die 3-Kilometer-Regel ausgeweitet

(rsn) - Die ASO wird auch bei der kommenden Tour de France die 3-Kilometer-Regel auf weitere ausgewählte Etappen ausdehnen. Dann werden die Fahrer bereits vier oder sogar fünf Kilometer vor dem Ziel

03.07.2025Neue GPS-Technologie wird auch bei Rad-WM in Ruanda eingesetzt

(rsn) – Nachdem sich erst wieder kürzlich einige Radprofis zu mangelnden Sicherheitsvorkehrungen beim erstmals ausgetragenen Copenhagen Sprint (1.UWT/1.WWT) kritisch geäußert hatten, dürfte eine

03.07.2025Tudor erweitert Partner-Portfolio prominent

(rsn) - Mit der Kreuzfahrtreederei MSC Cruises, einem der weltweit größten Anbieter für Vergnügungsreisen auf dem Meer, steigt kurz vor dem Start der Tour de France ein weiterer potenter Geldgeber

03.07.2025Das Grüne Trikot der Tour de France

(rsn) – Was haben der Reifenhersteller Michelin, der Anbieter von Pferdewetten PMU, Mineralölkonzern BP oder Autohersteller Skoda gemeinsam? All die international tätigen Konzerne waren (oder sind

03.07.2025Nys: “Für einen Etappensieg muss ich mich selbst übertreffen“

(rsn) – Mit 29 Fahrern stellen die Belgier bei der am 5. Juli in Lille beginnenden 112. Tour de France nach den heimischen Profis das zweigrößte Kontingent. Alle Augen sind dabei natürlich auf Do

03.07.2025Das Gepunktete Trikot der Tour de France

(rsn) – Seit 1933 ermittelt die Tour de France neben dem Gesamtsieger auch den Bergkönig. Seit 1975 gibt es das Gepunktete Trikot, offiziell maillot à pois rouges, das “Trikot mit roten Erbsenâ€

RADRENNEN HEUTE

    Radrennen Männer

  • Course de Solidarnosc (2.2, POL)
  • Sibiu Tour (2.1, ROU)