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25.05.2016 | Der Erfolg des Fahrrads hängt auch vom Fahrkomfort ab: Wer nicht schmerzfrei auf dem Velo sitzt, der wird das Rad schlicht nicht nutzen. Wie man am besten sitzt, erklärt Prof. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln dem pressedienst-fahrrad (pd-f).
pd-f: Radfahren ist gesund. Warum eigentlich?
Ingo Froböse: Wir haben im Alltag relativ wenig langandauernde Belastungen. Das hat für unseren Organismus negative Auswirkungen. Radfahren kann das auf ideale Weise kompensieren, und lässt sich ideal in den Alltag integrieren.
Im Alltag wichtig ist der Komfort. Wie blickt der Mediziner auf den Sattel?
Der Sattel muss im Kontext gesehen werden. Es sind die drei Kontaktpunkte, die Probleme machen können: Pedale/ Füße, Lenkergriffe/ Hände und Sattel/ Gesäß. In Umfragen haben wir herausgefunden, dass mindestens 80 Prozent der Radler regelmäßig über Sitzprobleme klagen.
Gibt es schmerzfreies Sitzen beim Radfahren überhaupt?
Sitzen auf dem Fahrrad bedeutet, dass eine sehr kleine Kontaktfläche 30 bis 90 Prozent des Körpergewichtes trägt. Eine solche Belastung ist erst einmal nicht schlimm, weil Druck für den menschlichen Organismus nichts Negatives ist, solange er eine bestimmte Intensität nicht überschreitet.
Auch für die Druckbelastung beim Radeln gilt also die alte Losung: „Die Dosis macht das Gift“?
Genau so ist es. Es geht um die Menge des Drucks, und um den Belastungszeitraum. Selbst bei einer um 30 bis 40 Prozent reduzierten Durchblutung infolge des Drucks ist das vielleicht unangenehm, aber nicht gefährlich. Wenn man aus dem Sattel geht oder wieder abgestiegen ist, dann normalisiert sich das bereits nach drei bis fünf Minuten.
Ist der Druck für alle Radler gleich?
Hier ist der Alltagsradler klar im Vorteil: Anders als Tourenradler oder Radsportler, die oft über Stunden sitzen, sitzt er meist nur kurze Zeiträume über den Tag verteilt auf dem Rad.
Warum klagen dennoch auch viele Alltagsradler über Sitzprobleme?
Ich glaube, dass die Menschen mit völlig falschen Vorstellungen an einen Sattel herangehen. Gerade unter Gelegenheitsradlern gibt es das Anspruchsdenken, dass man das Sitzen auf dem Sattel quasi gar nicht spüren darf. Jedes Drücken beim Sitzen wird mit negativen Assoziationen verbunden.
Woher kommt dieses Gefühl Ihrer Meinung nach?
Das scheint sehr tief verwurzelt zu sein, und greift wahrscheinlich auf archaische Muster zurück: Schließlich befindet sich der Druck im direkten physischen Sektor der männlichen Potenz, und der weiblichen Fruchtbarkeit. Das weckt einen gewissen Flucht-Instinkt, könnte man sagen, und ist damit Einfallstor für angst- und schmerzorientiertes, aber faktenfernes Produkt-Design, und auch Marketing.
Ein bisschen Drücken gehört zum Radfahren also dazu?
Absolut. Ein Sattel ist einfach etwas anderes als ein Sessel. Er hat grundsätzlich andere Funktionen: Er muss dem Fahrer Bewegungsfreiheit lassen, gleichzeitig die Haltung auf dem Rad stabilisieren und Sicherheit und Kontrolle übers Rad vermitteln. Das drückt dann nun mal, wenn 60 Prozent des Körpergewichtes auf so einer kleinen Fläche lasten.
Aber das ist nicht negativ?
An sich ist der Körper für dieses Sitzen gut präpariert: Die beiden Sitzbeinhöcker können diese Arbeit bestens verrichten. Allerdings muss man dem Körper auch Zeit zugestehen, sich an diese Sitzsituation zu gewöhnen. Deswegen klagen auch Seltenradler schneller als geübte Radfahrer.
Welche Bedeutung hat die Sattel-Position für den Sitzkomfort?
Die Einstellung ist für Leistungsentfaltung und Komfort von entscheidender Bedeutung. Der beste Sattel nützt ohne richtige Montage wenig.
Was ist da zu beachten?
Zum einen muss der Sattel fürs Pedalieren den richtigen Abstand zur Tretkurbel haben. Und grundsätzlich sollte er einigermaßen in der Waagerechten ausgerichtet sein. Beim Abstand zum Lenker orientiert man sich mit einem Lot, das bei waagerechtem Kurbelstand von der Kniescheibe des vorderen Beins durch die Pedalachse fällt. Diese Einstellungs-Prozedur wird im Fahrradfachhandel meist sehr gut durchgeführt.
Wie ist der aktuelle Stand der Forschung zur fast unüberschaubaren Auswahl an Sätteln?
Nicht nur, dass die Auswahl an Sätteln verwirrend groß ist, viel schlimmer ist ihre oft geringe funktionelle Qualität. Die Gestaltung von Sätteln hat häufig wenig damit zu tun, was der Mensch braucht, sondern was schick, schmerzfrei oder sportlich aussieht. Gefälliges Design steht dann über der Funktionalität der Biologie.
Wie kann sich der Radfahrer bei der Sattelwahl vor Design- und Marketing-Schnickschnack schützen?
Gut ist, was sich gut anfühlt, deshalb sollte man Sättel vor allem ausprobieren. Jeder Hintern ist anders. Nicht jeder Sattel, der als komfortabel gilt, muss am eigenen Gesäß passen. Ein guter Sattel muss sich dem Körper anpassen können, er muss ihn unterstützen, um ihm gleichzeitig auch ausreichend Bewegungsfreiräume fürs Radeln zu geben. Deswegen gilt auch hier: „Form follows function“!
Viele Hersteller werben damit, ihre Sättel seien ergonomisch...
Misstrauen Sie in der Werbung dem Begriff Ergonomie! Denn Ergonomie ist höchst individuell, und sagt als Begriff erstmal nichts aus. Ergonomie ist schlicht eine Grundbedingung, die jeder Sattel erfüllen muss, kein Qualitäts-Kriterium. Man muss sich von der Idee der universellen Ergonomie lösen – so stimmt es etwa nicht, dass ein Sattel Löcher haben muss.
Braucht frau einen Damensattel, und mann den Herrensattel?
Grundsätzlich erst einmal nicht. Solange der Abstand der Sitzbeinhöcker stimmt, und die Formgebung des Sattels zur Haltung auf dem Rad, und damit zur Last auf dem Gesäß passt, gibt es für den Alltagsradler keinen Grund für eine geschlechtsspezifische Unterscheidung.
Was ist dann relevant?
Wir haben die beiden Parameter Höckerbreite und Last für den italienischen Sattelhersteller Selle Royal in einer Studie erstmals in einer Matrix zusammengeführt. Diese umfasst drei Sitzhaltungen auf dem Rad, und drei Sitzbeinhöckerbreiten. Aus diesen neun verschiedenen Sätteln der Scientia-Reihe lässt sich dann recht einfach der ideale Sattel ermitteln.
Andere Frage: Sind weiche Sättel automatisch bequem?
Mitnichten, das exakte Gegenteil ist der Fall: Man darf nicht zu weich sitzen! Denn durch den Sitzdruck wird weiches Sattelmaterial aus der Druckzone an deren Ränder gedrängt und bildet dort Wülste, die Schmerzen provozieren. Hautreaktionen, Wundscheuern und Schwellungen sind häufig die Folgen. Aber auch diese sind bis zu einem gewissen Maße normal und okay, sofern sie binnen 18 bis 24 Stunden wieder verschwunden sind.
Was muss der Radler also beachten?
Die Einstellung, also die Sicht auf den Sattel, muss sich ändern: Weich ist nicht bequem, und das Sitzen auf härteren Sätteln bedarf nun einmal einer gewissen Gewöhnung.
Neben diesen Druck-Aspekten des Sitzens gibt es auch den Formschluss, also die schlichte Passform von Sattel und Gesäß.
Worauf muss der Alltagsradler dabei achten?
Der sportliche Radler ist beim Sitzen schon recht nahe am Optimum. Er hat eine Radhose mit speziellem Polster an, schützt sich durch Sitzcreme vor Reibung und greift zum harten Sattel. Der Alltags- und Gelegenheitsradler steckt in dem Dilemma, dass seine Kleidung auch abseits des Fahrens funktionieren muss.
Was ist die Folge?
Der beste Sattel scheitert an der Hosennaht: Eine dicke Jeans-Hosennaht reibt nun mal. Da kann man wenig ändern. Aber damit ist das Sitzkomfort-Kind eigentlich schon in den Brunnen gefallen. Dann hilft nur noch, relativ regelmäßig aus dem Sattel zu gehen und so für Entlastung der betroffenen Stellen zu sorgen. Dabei ist es egal, ob dies bei der Fahrt oder an der Ampel passiert.
Prof. Ingo Froböse
ist Leiter des „Zentrums für Gesundheit durch Sport und Bewegung“ an der Deutschen Sporthochschule Köln, und gilt als einer der profundesten Experten zum Thema Fahrrad und Ergonomie in Deutschland.
Weitere Informationen
Selle Royal
via Vittorio Emanuele 119
36050 Pozzoleone (VI)
Italien
Fon: 0039/ 0444/ 4611 00
Fax:
E-Mail: mail@selleroyal.com
Internet: www.selleroyal.com/
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