Interview mit dem EMS-Experten Heinz Kleinöder
Elektro-Myo-Stimulation: Trainieren “unter Strom“
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23.01.2019 |
Welche Effekte bietet EMS-Training? Kann es "Couchpotatos" zu mehr Sport motivieren? Gibt es Einschränkungen? Worauf muss bei einem EMS-Training geachtet werden? Das und mehr verrät Dr. Heinz Kleinöder von der Deutschen Sporthochschule in Köln im Interview.
EMS-Training ist ein Ganzkörper-Training unter Reizstrom, das mit nur 20 Minuten Einsatz pro Woche hocheffizientes Trainieren verspricht. Der Grund für den schnellen Effekt: Die gezielte Stromzufuhr führt zu stärkeren Muskelkontraktionen, die auch tiefere Muskelfasern erreichen und somit zum schnelleren Aufbau der Muskulatur führen soll.
Herr Kleinöder, es gibt immer mehr EMS-Studios, die meist damit werben, dass nur 20 Minuten Training pro Woche ausreichen. Stimmt das wirklich? Gibt es dazu wissenschaftliche Untersuchungen?
Dr. Kleinöder: Hier muss man ein bisschen auseinanderhalten. Wenn man in epidemiologische Studien schaut, sind der Aufwand und die Intensität eines allgemeinen Trainings zur Förderung der Gesundheit nicht besonders hoch. Man muss nur regelmäßig trainieren, vielleicht zweimal pro Woche eine halbe bis dreiviertel Stunde. Von daher kann man sagen: Um die Gesundheit zu fördern, reicht wenig Training grundsätzlich aus.
Und wie ist das mit EMS?
Bei EMS ist es so, dass im Prinzip zwei Mechanismen arbeiten: Man macht eine Übung, dann kommt der Strom dazu und intensiviert die Übung. In den Studios werden meistens eher statische Übungen gemacht. Also man steht, dann übernimmt der Strom sozusagen und verstärkt die Kontraktion. Wenn ich das 20 Minuten lang mache, ist es insofern hilfreich, als dass ich damit in extrem kurzer Zeit den ganzen Körper trainiere.
EMS hat also tatsächlich einen Effekt?
Den größten Vorteil sehe ich darin, dass durch das Ganzkörpertraining eine Bewegungswahrnehmung geschaffen wird. In unseren Untersuchungen stellte sich heraus, dass Leute, die weniger mit Sport verbunden sind, eine verbesserte Wahrnehmung sehr gut gebrauchen können. Sie lernen ihren Körper kennen und dadurch wird der Mensch dann aufgeschlossen, vielleicht auch andere Dinge zu tun. Einmal EMS in der Woche ist besser als keinmal - aber man sollte vielleicht noch etwas anderes dazu tun.
Also spricht EMS vor allem Sportmuffel an, die ihre Körperwahrnehmung verbessern sollten?
Es kommt noch die Kraftverbesserung dazu, da gibt es genug Studien. Letztendlich kommt der Reiz ja aus einem etablierten Genre, aus der Medizin. Man hat Patienten, die wenig mobil waren, mit EMS stimuliert und dann zeigte sich, dass die Muskel-Atrophie deutlich geringer ausfällt, als wenn ich nichts tue. Der Reiz hat also eine Kraft-Relevanz.
Die Couchpotato wird also animiert, was zu tun, damit sie gesund bleibt...
Ja, da ist EMS auf den ersten Blick der bequemste Reiz.
Das kann ja auch eine gute Motivation sein.
Aber das ist der Punkt: EMS ist kein Training für Faule, sondern es ist ein intensives Training. Wenn man es ausprobiert, merkt man schnell, dass es ziemlich anstrengend ist, wenn alle Muskelgruppen gleichzeitig gereizt sind. Alle, die es durchführen, sind immer wieder überrascht.
Es geht also erstmal um Körperwahrnehmung. Was dann?
Wenn man nun den Körper besser wahrnimmt und sieht, dass da Verbesserungen sind, dann will man weitermachen. Daraus ergibt sich letztendlich ein positiver Kreislauf.
Welche Trainings-Effekte können darüber hinaus mit EMS erzielt werden?
In den Studios wird es in erster Linie darum gehen, Muskelgruppen, die vielleicht Schmerzen bereiten, auf eine einfache Art und Weise zu stabilisieren, zum Beispiel den Rücken. Ich brauch mich nicht viel zu bewegen, der Strom geht in die Tiefe des Körpers und stimuliert die Muskeln. Das ist mit Sicherheit ein positiver Nutzen.
Was noch?
Weitere Effekte sind generell der Muskelaufbau. Das kann eine relativ intensive Stimulation sein. Theoretisch kann EMS auch zur Intensivierung im Ausdauerbereich eingesetzt werden. Das wird in den Studios aber eher selten gemacht, da geht es mehr um Kraft-Faktoren. Da haben wir über die Hypertrophie, also das Muskelwachstum, auch eine Verbesserung der Schnellkraft und eine Verbesserung der Maximalkraft. Alle diese Faktoren kann man im Alltag ganz gut gebrauchen.
Es wird auch immer wieder vor möglichen Gefahren des EMS-Trainings gewarnt. Wie ist Ihre Einschätzung?
Es gibt ja den alten Spruch: Die Dosis macht das Gift. Wenn man Elektro-Stimulation als verstärkenden Reiz zu intensiv einsetzt, dann wird das einerseits den Muskelkater des Lebens bedeuten. Wenn dann noch nicht bekannt ist, welche Kontra-Indikationen vorliegen, können schon Probleme entstehen. Also nehmen wir mal an, es kommt jemand, der eine geschädigte Leber hat. Dann kann sich das durch ein intensives Training weiter verschlechtern.
Das ist aber bei vielen Trainingsarten der Fall...
Ich bin auch überrascht, dass EMS so intensiv beschaut wird. Andere Sportarten, die oft ohne Begleitung ablaufen, wie zum Beispiel Freeletics oder Crossfit, stellen für mich viel größeres Gefahren-Potenzial dar. Hier wird in sehr hohen Intensitäts-Regionen trainiert und die Freizeitsportler sind manchmal nicht besonders geeignet dafür.
EMS-Training ist also nicht gefährlicher als andere Trainings?
Ich will die Gefahren-Diskussion bisschen relativieren. Es gibt ein paar Einzelfälle, die lassen sich aber alle gut zurückverfolgen, auf entweder vorgeschädigte Klienten, oder eine extrem hohe und intensive Belastung bei einem nicht vorbereiteten Sportler. Ansonsten ist der EMS-Reiz wirklich gut etabliert - und er wird ja auch mit Personal-Trainern durchgeführt. Man hat also hier noch eine zusätzliche Absicherung.
Dr. Heinz Kleinöder ist Experte für das Training mit Elektro-Myo-Stimulation (kurz: EMS-Training) und führt an der Deutschen Sporthochschule Köln
zahlreiche Projekte und Studien dazu durch. Das Interview wurde von der Abteilung "Universitäre Weiterbildung" der DSHS geführt.
Weitere Informationen
Deutsche Sporthochschule Köln
Am Sportpark Müngersdorf 6,
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