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22.06.2015 | (rsn) - So wirklich verstehen konnte die Entscheidung der Jury wohl niemand: Gracie Elvin (Orica-AIS), die lediglich auf den ersten 40 Kilometern des Rennens in einer recht ungefährlichen vierköpfigen Ausreißergruppe fuhr, bekam nach der Schlussetappe der Aviva Women's Tour in Hemel Hempstead den Preis der kämpferischsten Fahrerin. Dabei hatte eine Andere ein fulminantes Solo hingelegt - und zwar eine, die gerade erst von einer langen Verletzungspause zurückgekehrt ist: Claudia Lichtenberg (Liv-Plantur).
Die Giro-Siegerin von 2009 setzte sich nach gut 60 der 102,6 Kilometer aus dem Feld ab und wurde erst 300 Meter vor dem Ziel gemeinsam mit der auf den letzten 15 Kilometern zu ihr vorgefahrenen Audrey Cordon-Ragot (Wiggle-Honda) vom sprintenden Feld gestellt. „Natürlich ist es bitter, so kurz vor dem Ziel eingeholt zu werden, aber so ist Rennfahren nun einmal", trug Lichtenberg den Ausgang ihres Fluchtversuchs mit Fassung - wahrscheinlich auch, weil sie es ursprünglich gar nicht auf den Etappensieg abgesehen hatte.
„Wir wollten ein hartes Rennen, weil man gestern schon gesehen hat, dass Sabrina Stultiens richtig stark ist", erklärte Lichtenberg radsport-news.com. Die Niederländerin hatte im Finale der 4. Etappe attackiert und war ihrerseits nur 200 Meter vor dem Ziel eingeholt worden. Stultiens lag vor der Schlussetappe 35 Sekunden hinter dem Gelben Trikot von Lisa Brennauer (Velocio-SRAM) und schien eine der Stärksten auf einem schweren Parcours wie dem des Schlusstags zu sein.
„Eigentlich wollte ich nur ihre Attacke vorbereiten und das Rennen schwerer machen. Deshalb habe ich angegriffen, als es langsamer geworden ist", sagte Lichtenberg. „Ich hätte nie gedacht, dass ich damit dann soweit komme. Wir hatten es anders geplant, aber wenn man alleine führt ist es immer irgendwie ein schönes Gefühl."
Überraschend war die Leistung der 29-Jährigen vor allem deshalb, weil sie deutlich im Trainingsrückstand ist. Bei Gent-Wevelgem zog sie sich Ende März eine schwere Gehirnerschütterung zu und saß anschließend vier Wochen lang nicht auf dem Rad - auch im Mai ging das Training nur sehr langsam los (siehe unten verlinkter Bericht).
„Es ist schwer, ins Rennfahren zurückzufinden", sagte sie deshalb auch nach einer intensiven Rennwoche in England. „Gerade hier war es sehr schnell und aggressiv und die Strecken fordern viel Konzentration. Man muss immer vorne sein, um nicht zu viel Energie zu verschleudern. Das war genau das Richtige, um wieder reinzukommen, aber es war hart."
Lichtenberg spürt weiterhin die fehlenden Wochen. „Ja, natürlich, klar. Sonst wären ja alle doof, die die ganze Saison Rennen fahren und sich auf ihren Höhepunkt vorbereiten", meinte sie. Deshalb ist sich die Münchenerin auch nicht sicher, ob sie am kommenden Wochenende auf dem anspruchsvollen Kurs der Deutschen Meisterschaften in Bensheim und Anfang Juli bei ihrem eigentlichen Saisonhöhepunkt, dem Giro Rosa in Italien, glänzen kann. „Ich weiß nicht, ob die Deutsche Meisterschaft und der Giro zu früh kommen", erklärte sie. „Ich will mich nicht zu sehr unter Druck setzen. Natürlich wünsche ich mir, dass es dort klappt. Aber davon auszugehen, wäre einem selbst gegenüber gemein."
Der Auftritt in Hemel Hempstead aber lässt zumindest hoffen.
Das ganze Gespräch mit Lichtenberg im Video:
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