RSNplusOhne Spektakel, aber clever

Carapaz: Als Minimalist zum zweiten Giro-Triumph?

Foto zu dem Text "Carapaz: Als Minimalist zum zweiten Giro-Triumph?"
Richard Carapaz (Ineos Grenadiers) im Zielsprint der 19. Giro-Etappe | Foto: Cor Vos

27.05.2022  |  (rsn) - Richard Carapaz (Ineos Grenadiers) will den 105. Giro d’Italia mit ganz alten Mitteln gewinnen. Das ist einerseits schlau, andererseits hochgradig langweilig für alle Zuschauenden. Dieser Giro wird auch zum Gradmesser, ob ein innovatives Verständnis von Radsport erfolgreich ist oder der Konservatismus siegt.

Carapaz wirkt nervös. Er trägt zwar auch nach der 19. Etappe das Rosa Trikot – und er trägt es nicht unverdient, das ist klar. Aber recht fröhlich sieht er dabei nicht aus. Als ihn im Pressezentrum ein italienischer Journalist darauf ansprach, dass er bei diesem Giro viel weniger lächele als gewohnt, flog nur ein gequältes halbes Lächeln über das Gesicht des Ecuadorianers. Er winkte ab und verließ ohne Antwort die Pressekonferenz. Es war auch die letzte Frage, kein Skandal also.

___STEADY_PAYWALL___ Aber der Mann im Maglia Rosa mit Ineos-Logo ist wie ausgewechselt. Natürlich, Carapaz mag die Last der Verantwortung drücken. Er muss jetzt für das Real Madrid des Radsports liefern. Und die vergangenen drei Wochen machen deutlich, dass er unter ganz anderen Bedingungen liefern muss als die Sky- und Ineos-Kapitäne vor ihm, die mehrfache Rundfahrtsieger wurden. Ob sie Chris Froome hießen oder Egan Bernal – stets waren sie die mit Abstand stärksten Kletterer im Peloton. Und stets konnten sie sich auch auf die stärkste Mannschaft um sich herum verlassen.

In der Reihenfolge, in der Richard Carapaz, Jai Hindley und Mikel Landa auf der 19. Etappe ins Ziel kamen, belegen sie auch die ersten drei Plätze im Gesamtklassement dieser Italien Rundfahrt. | Foto: Cor Vos

Die Ineos-Truppe bei diesem Giro hingegen ist ausgedünnt. Kein Mega-Motor wie Zeitfahrkönig Filippo Ganna zieht den Bergzug. Kein Michal Kwiatkowski sorgt für Coolness und extra Ideen. Nicht einmal den phänomalen Youngster Thomas Pidcock hat Carapaz an die Seite gestellt bekommen.

Carapaz ist kein Deut stärker als Herausforderer Hindley

Angesichts der gedrosselten Ineos-Erstickungsmacht wird auch deutlich, dass Carapaz kein Watt stärker ist als sein ärgster Herausforderer Jai Hindley (Bora – hansgrohe) und bestenfalls minimal besser als der Baske Mikel Landa (Bahrain Victorious. Das weiß keiner besser als Carapaz selbst. “Wir fahren alle drei auf dem gleichen Niveau“, sagt er brav, sobald sich ein Mikrofon vor seiner Nase befindet.

Und weil das so ist, greift der eigentlich recht impulsive Radprofi zu ganz klassischen Mitteln: Er wird zum Minimalisten. Zum Maxi-Minimalisten sogar. Denn seinen Vorsprung von aktuell drei Sekunden auf Hindley verdankt er der am wenigsten heroischen Tat, die für Rundfahrtkönige denkbar ist. Es handelt sich um Bonussekunden aus einem Zwischensprint.

Auf dem Podium hatte Carapaz mit seinen beiden Kindern Santiago und Sofia gut lachen. | Foto: Cor Vos

Wird er danach gefragt, spielt immerhin ein leises Lächeln um die Lippen des Mannes mit der Nummer 1. “Dieser Giro wird nach Sekunden entschieden“, sagt er dann, als handele es sich um eine Jahrhunderte alte Weisheit von Andenbewohnern, lange bevor Kolumbus‘ räuberische Nachkömmlinge die Region mit Mord und Terror im Namen von Kirche und Zivilisation überzogen.

Der Olympiasieger war auf der Giro-Schlüsseletappe hellwach

Zugestehen muss man ihm, dass er, anders als seine Teamkollegen, bei der bisherigen Schlüsseletappe des Giro hellwach war. Der 28-Jährige hielt sich am vergangenen Samstag weiter vorn im Peloton auf, als Bora - hansgrohe auf der Turin-Etappe eine famose Kollektivattacke startete. Carapaz nutzte die Bora-Show sogar als Rampe, wurde dann aber von Hindley zurückgeholt, und gab sich dann zufrieden, als Profiteur der Raublinger Ideen ins Rosa Trikot zu rollen.

Das alles tut seinem Image allerdings nicht gut. Der Olympiasieger kommt nach all den aufregenden, zuweilen legendären Italien-Rundfahrten der letzten Jahre wie ein ganz langweiliger Spektakel-Dimmer daher. Das hat dann auch die Freude aus seinem Gesicht getilgt. Carapaz muss anders fahren, als es ihm sein Rennfahrerherz sagt. Seine Größe liegt darin, gerade nicht auf sein Herz zu hören, sondern auf seinen Kopf. Er fährt Ineossiger, Skymäßiger als weiland Froome oder Bernal.

Wird Carapaz von Boras Innovationskraft bezwungen?

Das ist ein schrilles Paradox. Denn Ineos fiel in den letzten Jahren durch einen Charakterwandel auf. Der Giro 2020 wurde durch Angriffslust gewonnen. Die Klassikerkampagne in diesem Jahr war mit den Ideen und den Erfolgen zum Staunen. Ein – im Vergleich zu alten Zeiten – eher schwaches Team und ein Leader von wenig herausragendem Maß führen aber wieder zu einem Rückfall in vergangen geglaubte Tempomat-Zeiten.

Ineos Grenadiers hat seinem Giro-Kapitän nicht unbedingt die erste Helferriege zur Verfügung gestellt. | Foto: Cor Vos

Man kann den geringen Spektakelwert beklagen. Man kann aber auch anerkennen, dass Carapaz die genau richtigen Schlüsse aus der Gesamtsituation zieht. Ob das für seinen zweiten Gesamtsieg beim Giro nach 2019 reicht, weiß man erst am Sonntag, übrigens Carapaz' 29. Geburtstag. Bezwingen kann ihn nur Innovationskraft von Bora - hansgrohe.

Für den Radsport wäre so ein Ausgang gut. Denn das würde vielleicht auch Carapaz überzeugen, in Zukunft wieder mehr auf sein Rennfahrerherz als auf den Minimalistenverstand zu hören.

Mehr Informationen zu diesem Thema

09.06.2022Bergkönig Bouwman fällt mit gebrochenem Arm lange aus

(rsn) – Zwei Etappensiege und das Bergtrikot beim Giro d´Italia rückten Koen Bouwman erstmals in seiner Karriere in das Rampenlicht des internationalen Radsports. Doch aus dem wird er sich vorers

01.06.2022Evans glaubt an weitere große Erfolge von Hindley

(rsn) – 2011 war Cadel Evans der erste Australier, der eine GrandTour für sich entscheiden konnte. Es war sogar die größte von allen, die Tour de France. Am Sonntag hat in Jai Hindley (Bora –

31.05.2022Girmay, Hirt und Pozzovivo sorgten für eine strahlende Bilanz

(rsn) – Intermarché – Wanty – Gobert gehörte bisher nicht zu den Teams, die bei den großen Rundfahrten für Furore sorgten. Taco van der Hoorn holte 2021 auf der 3. Etappe des Giro d’Italia

31.05.2022Hindley träumt groß: “Klar glaube ich ans Gelbe Trikot“

(rsn) – Zwei Tage sind vergangen, seit Jai Hindley in Verona zum ersten australischen Sieger des Giro d’Italia geworden ist. Zwei Tage, die andere nach einer Grand Tour nutzen würden, um jenes La

31.05.2022Bauhaus mit Giro “nicht sehr zufrieden, aber zufrieden“

(rsn) - Ohne den erhofften ersten Grand-Tour-Etappensieg, aber mit einem zweiten Rang und drei weiteren Top-Ten-Resultaten ist der 105. Giro d’Italia für Phil Bauhaus (Bahrain Victorious) zu Ende g

30.05.2022Van der Poel reist ohne Rennen vom Giro zur Tour

(rsn) - Dass Mathieu van der Poel (Alpecin – Fenix) nach dem Giro d’Italia in diesem Jahr auch bei der Tour de France starten würde, war schon lange geplant. Dass der Niederländer den Giro aber

30.05.2022Kämna im Lennard-Bora-hansgrohe-Style auch bei der Tour?

(rsn) – Lennard Kämna (Bora – hansgrohe) hat beim Giro d’Italia nicht nur mit seinem Etappensieg am Ätna begeistern können. Der 25-jährige Bremer erwies sich in den Bergen zudem als entschei

30.05.2022Denk: “Jetzt träume ich vom Tour-Sieg“

(rsn) – Mit dem Giro-Sieg durch Jai Hindley hat Bora – hansgrohe nach der Neuausrichtung als Rundfahrerteam das große Ziel schon im ersten Anlauf erreicht! Wie geht es jetzt bei dem Raublinger Re

30.05.2022Gall freut sich für früheren Teamkollegen Hindley

(rsn) – Mit seiner Grand-Tour-Premiere ist Felix Gall (AG2R Citroën) nicht zufrieden, dafür freut sich der Österreicher über den Giro-Gesamtsieg seines früheren Teamkollegen Jai Hindley (Bora â

29.05.2022Hindley: “Ich wollte nicht, dass sich 2020 wiederholt“

(rsn) - Aufopferungsvoll führte Bora – hansgrohe seinen Kapitän Jai Hindley zum Giro-Sieg! Aber nicht nur die Mannschaft und hier speziell die starke Hilfe von Lennard Kämna am vorletzten Tag im

29.05.2022Carapaz: “Am Ende hat der Stärkste gewonnen“

(rsn) - In unserem täglichen Stimmensammler können Sie im Verlauf des 105. Giro d´Italia kurz nach dem Ende der jeweiligen Etappen nachlesen, was die Protagonisten zum Rennen zu sagen hatten. Matt

29.05.2022Evenepoel mit “Wolfpack-Spirit“ zum Gesamtsieg

(rsn) – Alexander Kristoff (Intermarché - Wanty - Gobert Matériaux) hat zum Abschluss der 11. Tour of Norway (2.Pro) für den ersten Sieg eines heimischen Profis gesorgt. Der 34-jährige Norweger

Weitere Radsportnachrichten

12.05.2024Trotz widriger Umstände rast Kooij beim Giro zum ersten Sieg

(rsn) - Die ersten beiden Massensprints des diesjährigen Giro d’Italia (2. UWT) liefen nicht nach dem Geschmack von Olav Kooij und seinem Team Visma – Lease a Bike. Doch die dritte Chance konnte

12.05.2024Krieger bei Sturz auf 9. Giro-Etappe schwer verletzt

(rsn) – Nach einem schweren Sturz im Finale der 9. Etappe musste Alexander Krieger mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden. Wie sein Team Tudor am Abend auf X mitteilte, sei der St

12.05.2024Auch ohne Sieg ist Buchmann ein Gewinner der Ungarn-Rundfahrt

(rsn) – Den Frust über seine Giro-Ausbootung hat Emanuel Buchmann (Bora – hansgrohe) in viel Angriffslust umgewandelt. Nachdem er bereits am 1. Mai bei Eschborn-Frankfurt (1.UWT) mit einer offens

12.05.2024Kooj triumphiert im Sprint-Krimi von Neapel vor Milan

(rsn) – Olav Kooij (Visma – Lease a Bike) hat die 9. Etappe des 107. Giro d’Italia im Massensprint gewonnen. Nach 214 Kilometern mit Start in Avezzano und Ziel in Neapel jagte er auf den letzten

12.05.2024Flèche du Sud: Teutenberg-Team am Schlusstag auf 1-2-3

(rsn) – Der Flèche du Sud (2.2) ist für viele der deutschsprachigen Fahrer und Teams erfreulich zu Ende gegangen. Am Schlusstag feierte Tim Torn Teutenberg mit seinem Team Lidl – Trek Future Ra

12.05.2024Narvaez: “Manchmal klappt es und manchmal nicht“

(rsn) – Rund 30 Meter fehlten Jhonatan Narvaez (Ineos Grenadiers) im Finale der 9. Etappe des Giro d’Italia (2.UWT) – stattdessen ging der Sieg an Olav Kooij (Visma – Lease a Bike). Die letzte

12.05.2024Buchmann erneut kurz vorm Ziel abgefangen - diesmal von Poels

(rsn) – Wie schon an der ersten Bergankunft beeindruckte Emanuel Buchmann (Bora – hansgrohe) auch auf der alles entscheidenden 5. Etappe der 45. Tour de Hongrie (2.Pro). Er musste auf den letzten

12.05.2024Highlight-Video der 9. Etappe des Giro d´Italia

(rsn) – Olav Kooij (Visma – Lease a Bike) hat auf der 9. Etappe des 107. Giro d’Italia seinen ersten Tagessieg bei einer Grand Tour gefeiert. Der 22-jährige Niederländer entschied nach 214 Kil

12.05.2024Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 9. Etappe

(rsn) - 176 Profis aus 22 Teams sind am 4. Mai zum 107. Giro d’Italia (2.UWT) angetreten, darunter auch zwölf Deutsche, vier Österreicher, zwei Schweizer und ein Luxemburger. Hier listen wir a

12.05.2024Vollering stürmt mit 30-km-Solo am letzten Tag ins Gelbe Trikot

(rsn) – Mit einem Solo über gut 30 Kilometer hat Demi Vollering (SD Worx – Protime) am letzten Tag der 3. Itzulia Women (2.WWT) ihrer Teamkollegin Mischa Bredewold das Gelbe Trikot noch abgenomme

12.05.2024Sarnowski fehlen 100 Meter zum ersten UCI-Sieg

(rsn) – Tillman Sarnowski (Embrace The World) hat beim GP de la Ville d`Oran (1.2) in Algerien sein erstes UCI-Podium in einem Eliterennen eingefahren. Der 19-Jährige, 2022 Gesamtsieger der U19-

12.05.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morgen

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Giro d´Italia (2.UWT, ITA)
  • Radrennen Männer

  • Tour d´Algérie (2.2, DZA)