Interview mit dem Schotter-Experten Gunnar Fehlau

Gravelbike: “Perfekt für Einsteiger/innen“

Von Thomas Geisler

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| Foto: Liv Cycling

19.06.2022  |  Für viele sind Rennräder immer noch reine Asphalt-Maschinen. Doch Renner sind nicht länger an die Straße gebunden - als Gravelbikes ermöglichen sie sportives Fahren auch über Feld- und Waldwege. Das Schotter-Rad erfreut sich daher seit ein paar Jahren wachsender Beliebtheit. Fahrrad-Experte Gunnar Fehlau vom pressedienst-fahrrad begleitet die Gravelbike-Szene in Deutschland seit vielen Jahren. Auf der Eurobike in Frankfurt am Main (13. bis 17. Juli) betreut er den "Gravel Talk", wo Neuheiten und Themen der Szene diskutiert werden. Im Interview verrät Gunnar die Hintergründe des Trends "ein Rad für alles" - und worauf Einsteiger/innen achten sollten.

pressedienst-fahrrad: Mal direkt gefragt: Warum ist das Gravelbike so beliebt?
Gunnar Fehlau: Ich sehe dafür drei Gründe. Erstens: Die Räder kommen aus der Nische in das Portfolio der großen Fahrradmarken. Das schafft mehr öffentliche Wahrnehmung und wirkt sich auf den Preis aus. Es gibt jetzt mehr günstige Einstiegsräder für eine breite Masse. Das Gravelbike ist gerade für sportliche Einsteiger/innen das perfekte Rad, weil es zwischen Mountainbike und Rennrad angesiedelt ist.
Zweitens: Erste Idole kommen auf. Gerade in Deutschland gewinnt eine Sportart an Popularität, wenn Deutsche darin gut sind. Deshalb ist es einfach toll, dass Gravelbiken über sportliche Formate Identifikationspersönlichkeiten bekommt, z. B. in Form ehemaliger Straßenfahrer, und dadurch Menschen inspiriert werden, die einen Star brauchen, um selbst aktiv zu werden. Und das dritte Thema sind die Events. Durch Corona hat Radfahren im Ganzen geboomt. Wer sportlich Rad fahren wollte, hat im Gravelbike etwas Neues entdeckt. Die aufkommenden Gravelbike-Events sorgen für eine steigende Aufmerksamkeit.

Das Gravelbike gilt vielen als eierlegende Wollmilchsau. Gibt es überhaupt das eine Gravelbike? Wo sind Unterschiede zwischen den Rädern?
Ein entschiedenes Jein. Die perfekte Rad-Kategorie ist immer ‚meins‘ – also das Rad, das zu den individuellen Bedürfnissen am besten passt. Das Gravelbike ist eine Art Schweizer Taschenmesser, das auf viele Bedürfnisse passt und somit viele Menschen anspricht. Gravelbikes können sowohl Richtung Geschwindigkeit als auch Richtung MTB-Gelände gehen. An diesen Polen sind sie sich nicht mehr sonderlich ähnlich. Wer sportlich fährt, achtet vielleicht auf ein Aero-Gravelbike. Das macht für den Renneinsatz absolut Sinn, ist aber nichts für eine Radreise mit Gepäck. Da braucht es dann eher ein wartungsarmes Gravelbike mit breiteren Reifen, auch 'Monster-Crosser' genannt.

Du hast Radreisen angesprochen, hier ist derzeit Bikepacking en vogue. Gehen die Trends Gravel und Bikepacking Hand in Hand?
Bikepacking war ein bisschen früher dran, hier tut sich schon seit längerem etwas in Europa. Das war aber ein Thema für MTBs mit geradem Lenker. Die Entwicklung hin zum Rennlenker gab nochmals einen Schub für das Bikepacking - wobei erstmal die passenden Lenkertaschen für den Rennlenker entwickelt werden mussten. Bikepacking und Gravelbiken verstehen sich inhaltlich aber sehr gut und sind in ihrer Kombination auch für routinierte Radfahrer/innen etwas Neues.

Welche Rolle spielt das Thema E-Motor beim Gravelbike?
Unter den sportiven Radgattungen für Untrainierte ist das Gravel-E-Bike die wohl spannendste. Auf Asphalt sind Einsteiger mit einem Rennrad durchaus in der Lage, über 25 km/h zu fahren. Beim Gravelbike ist ein Motor sinnvoller, weil man durch die schlechteren Pisten nicht so oft die 25 km/h-Schwelle erreicht. Der Motor ist hier ein Gewinn, kein Ballast wie beim E-Rennrad, wenn es jenseits steiler Pässe gefahren wird. E-Mountainbikes hingegen sind mehr auf Fahrtechnik und Geländegängigkeit ausgelegt – viele technische Features brauchen Einsteiger/innen gar nicht. Deshalb mein Tip: Ein kleiner Motor kann für viele Leute am Gravelbike sehr viel Gewinn bedeuten.

Was sind die Trends der kommenden Saison?
Die Ausdifferenzierung schreitet weiter voran, die Räder werden leichter und 'durchoptimierter' – dafür wiederum teurer. Auf der anderen Seite werden immer mehr Hersteller versuchen, das Thema für Einsteiger/innen interessanter zu machen und günstige Modelle anbieten.
Als zweiten Trend sehe ich die Elektrifizierung auf jeder Ebene – also nicht nur E-Motor, sondern auch elektronische Schaltung, Integration von Licht und Stromversorgung und Ähnliches: Ein Naben-Dynamo, der Smartphone und Navi lädt, oder ein breitbereiftes Rennrad mit Sicherheits-Aspekten wie Beleuchtung und Radar-System. Damit sind wir beim Zubehör: Die Produkte werden erschwinglicher, auch weil die Nachfrage da ist und sich die Investitionen für die Unternehmen lohnen. Hier kommt Vielfalt dazu, weil man nicht mehr auf das angewiesen ist, was der Fahrrad-Hersteller anbietet, sondern mehr und mehr individuell nachrüsten kann.

Gibt es schon spezielles Gravelbike-Zubehör?
Erst mal schwingt der Marketing-Buzzword-Alarm bei der Bezeichnung mit. Wenn man sich aber reindenkt, erkennt man die Hintergründe spezieller Gravelbike-Linien, über alle Komponenten- und Zubehör-Gruppen. Die Fragen heir sind:  Ist der Rennlenker vom Rennrad auch fürs Gravelbiken geeignet? Braucht es andere Reifen und Felgen, die bislang aus dem Mountainbike-Bereich kommen? Oder auch etwas Banales wie Luftpumpen: Gravelbikes brauchen einen anderen Druckbereich als MTB- oder Rennrad-Pumpen. Es ist egal, ob die Pumpe dann Gravel-Pumpe oder Mid-Pressure-Pumpe heißt, wichtig ist, sie muss zur Anwendung passen. Wir haben es bei den Schaltgruppen gesehen: Zuerst waren es hemdsärmlige Kreuzungen aus MTB und Rennrad, mittlerweile gibt es spezielle Gravel-Gruppen, die auf den Schotter-Einsatz abgestimmt sind. Das gibt wiederum den Kund/innen Orientierung.

Was rätst du Einsteiger/innen vor dem Schotterradkauf?
Ganz wichtig: ausprobieren. Entweder im Fachhandel oder im Bekanntenkreis nach einem Testrad fragen. So kann man feststellen, ob einem die Radgattung überhaupt liegt. Das Fahren mit Rennlenker will durchaus gelernt sein: Erst durch lockere Unterarme und Elastizität im Ellenbogen wird das Fahren im Gelände komfortabel. Mit Komfort kommt Kontrolle, und mit Kontrolle Sicherheit. Außerdem ist der richtige Luftdruck wichtig, hier lässt sich viel Komfort und Traktion steuern. Eine Handpumpe mit Manometer ist deshalb sinnvoll, um unterwegs unterschiedliche Drücke zu testen. Zusammengefasst: Wenn man sich vorab beim Testen ein bisschen Zeit gönnt, ist die Chance größer, langfristig Freude am Gravelbike zu finden.

Was würdest Du für den Einstieg unbedingt kaufen?
Ich fange immer beim Menschen an. Nach dem Rad: Helm, Handschuhe, Hose. Der Helm ist wichtig bei einem Sturz. Handschuhe ebenfalls, weil man sich sonst auf dem Schotter schnell die Hände aufreißen kann. Eine gut gepolsterte Hose sorgt für einen verbesserten Komfort. Minitool und Flickzeug sollten auch dabei sein, und eine Trinkflasche ist super. Vielleicht auch eine Handy-Halterung; das Telefon hat man eh dabei, dann hat man das Gerät direkt am Lenker und kann damit navigieren.

Thomas Geisler ist Redakteur beim "pressedienst-fahrrad".

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