Komponenten, E-Bikes, Wunschräder...
Fahrradkauf 2021: Wie ist die aktuelle Lage?
| Foto: Argon18
03.02.2021 | Mitte 2020 waren nicht wenige Fahrradläden in Deutschland nahezu leergekauft. Wie ist nun die Situation zum Saison-Start im Frühjahr? Dieser Frage - und den Hintergründen - ging der pressedienst-fahrrad in der vergangenen Woche bei einer digitalen Gesprächsrunde mit mehreren Herstellern nach. Hier die Ergebnisse.
(pd-f/ tg) - Auch wenn es derzeit in weiten Teilen Deutschlands nicht danach aussieht: Das Frühjahr ist nicht mehr weit, und damit der Start der Fahrrad-Saison. Wenig überraschend: Vermutlich wird sich der Fahrradmarkt auch in diesem Jahr einer hohen Nachfrage erfreuen.
„Um die Freizeit und den Urlaub im Land zu verbringen,
bietet sich das Fahrrad an. Auch für das Pendeln ist es in der Pandemiezeit eine Alternative zu öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Entwicklung sehen wir in steigenden Verkaufszahlen“, blickt Thomas Leicht, Bereichsleiter E-Bike bei Brose, optimistisch ins Jahr 2021.
Wer sich spontan ein neues Fahrrad oder E-Bike kaufen möchte, könnte aber enttäuscht werden: Das Wunschrad ist oftmals weder im Handel noch online erhältlich, Lieferzeiten bis zu sechs Monate keine Seltenheit. Die Gründe dafür sind vielschichtig.
Radfahren boomt – und zwar weltweit.
Das bringt die Produktions-Betriebe an ihre Grenzen. Ein Fahrrad besteht bekanntlich aus unterschiedlichen Komponenten von verschiedenen Zulieferern. Und viele Teile werden nur von wenigen Herstellern produziert. Durch die gestiegene Nachfrage können die Betriebe manche Bestellungen nicht mehr so schnell abarbeiten. Auf manche Komponenten gibt es daher mittlerweile Wartezeiten von rund einem Jahr, auch weil Rohstoffe fehlen.
Doch Komponenten wie Sattel, Bremsscheiben und Schaltung sind elementar für den Fahrbetrieb - ohne sie läuft nichts. Zudem sind in so manchen Unternehmen der Fahrrad-Branche Planung und Forecasting nicht ganz oben auf der Liste: Man lebte von einer Saison zur nächsten. Diese Einstellung scheint sich jetzt jedoch zu ändern.
„Wir haben aus dem letzten Jahr unheimlich viel
gelernt und sind viel früher in Planung und Produktion gegangen. Die Warenverfügbarkeit ist das A und O. Dennoch gibt es Fragezeichen, wie es weitergeht“, bestätigt Markus Krill, Geschäftsführer beim Anhänger-Spezialisten Croozer.
„Wir beschäftigen uns schon heute teilweise mit der Planung für 2023. Das ist eigentlich absurd“, pflichtet Dennis Schömburg bei. Er ist Geschäftsführer des Importeurs Messingschlager, der Fahrradteile von Zulieferern aus der ganzen Welt in Europa anbietet.
Bereits seit längerem wird in der Branche
zudem daran gearbeitet, den „klassischen“ Saison-Rhythmus zu entzerren und den Kauf von Neuheiten ganzjährig zu ermöglichen. So präsentieren einige Hersteller wie Cannondale ihre neuen Räder im Lauf des Jahres, und nicht ausschließlich im Frühjahr oder Herbst.
Ein Blick nach Asien: Hier wird ein Großteil der Komponenten und Rahmen gefertigt. Corona ist auch dort ein bestimmendes Thema, aber die Zahlen sind geringer als in der EU. „Man geht von Seiten der Regierungen strikter gegen das Virus vor und riegelt betroffene Gebiete schneller ab. Auch in den Fabriken werden erheblich höhere Anstrengungen unternommen als in der EU. So bekommt man das Virus schneller in den Griff“, berichtet Albrecht von Dewitz, der Inhaber der Produktionsstätte des Outdoor-Ausstatters Vaude in Vietnam.
Der Gründer und ehemalige Geschäftsführer
von Vaude Sport lässt in seiner Fabrik in Vietnam beispielsweise zweimal am Tag bei den Mitarbeiter/innen Fieber messen, mögliche Verdachtsfälle werden sofort isoliert und näher untersucht. „Wir hatten bei uns bislang noch keinen Fall“, berichtet Dewitz. Auch wenn er aufgrund der Reisebeschränkungen aktuell in Deutschland ist, beobachtet er die Situation in Fernost genau.
In Asien steht bald das chinesische Neujahrsfest an, was für viele chinesische Arbeiter/innen mit dem Jahresurlaub verbunden ist, und so die einzige Möglichkeit, ihre Familien zu sehen. Die Situationsei deshalb in China gerade äußerst angespannt, so Dewitz: „Die Chines/innen wollen zu ihren Familien reisen, aber der Fernverkehr zwischen den Ballungsräumen soll dicht gemacht werden.“ Die Folge: Mitarbeiter/innen würden aktuell kündigen oder ihren Arbeitsplatz einfach verlassen. „Viele Unternehmen können schon jetzt nicht mehr produzieren“, weiß von Dewitz.
Diese Situation bestätigt Dennis Schömburg.
Hinzu kommt, dass durch die Reisetätigkeiten das Corona-Virus weiterverbreitet werden kann und ein neuer Lockdown droht. „Der Neujahrs-Termin ist schon immer problematisch, aber dieses Jahr ist die Glaskugel noch etwas mehr beschlagen“, sagt Schömburg.
Das chinesische Neujahrsfest bedeutet auch, dass die Logistik in China für eine Woche ruht. Dabei ist die Transportkette von Asien nach Europa seit letztem Frühjahr schon stark belastet und der Warenverkehr immer noch eingeschränkt. Die Fahrrad-Branche ist hier nur eine von vielen, die ihre Produkte aus Asien bezieht und mit längeren Lieferzeiten zu kämpfen hat.
Seit November schon sollen sich Logistiker
in den Häfen um die wenigen freien Container-Plätze auf den Schiffen streiten. Oftmals wird zugesagte Ware gar nicht ausgeliefert – oder nur zu gestiegenen Transportkosten. „Unser Logistiker hat am Tag der Lieferung gesagt: Eure Ware ist leider im Hafen liegen geblieben, da wir nicht genug Container haben. Wenn sie im nächsten Monat mitgehen soll, kostet es das 3,5-fache, wenn ihr sie sicher wollt, das Vierfache“, berichtet Alexander Kraft, Pressesprecher beim Liegerad-Hersteller HP Velotechnik, an einem konkreten Beispiel die angespannte Lage.
Die Fahrrad-Hersteller suche deshalb andere Lösungen. „Um lieferfähig zu bleiben, schauen wir nach Ersatz-Komponenten, wenn wir Teile nicht bekommen“, berichtet Michaela Fiege, Einkaufsleiterin beim Kinderrad-Spezialisten Puky. Das hat zur Folge, dass sich die Ausstattung des Wunschrads kurzfristig ändern kann, weil andere Komponenten verbaut sind als im Katalog angegeben. Die Kataloge werden Monate im Voraus gedruckt und können nicht der aktuellen Lage angepasst werden.
Zudem werden Ersatz-Komponenten oft
in Europa gefertigt und sind deshalb teurer, was sich im Fahrrad-Preis niederschlägt. Zwar versuchen die Hersteller aktuell die Preisentwicklung noch abzufedern, aber es wird allerseits damit gerechnet, dass während der Saison die Preise für Fahrräder und E-Bikes steigen können.
Beim E-Bike ergibt sich noch eine Sonder-Situation: Die Zulieferer der Antriebs-Komponenten müssen aktuell einen komplizierten Spagat hinlegen. Auf der einen Seite stehen sie bei ihren Bestellungen für elektronische Teile wie Chips und Prozessoren am Weltmarkt in direkter Konkurrenz zur Automobil- und Elektronik-Branche, die ebenfalls eine hohe Nachfrage nach Elektroteilen hat. Das erschwert die Versorgung und bringt Probleme in der Lieferkette.
Auf der anderen Seite kürzen die Fahrrad-Hersteller
bereits getätigte Bestellungen, da die Versorgungen mit den restlichen Komponenten knapp ist. „Es ist für uns deshalb schwer, eine Prognose abzugeben“, sagt Thomas Leicht von Brose. Das Unternehmen fertigt seine Antriebe zwar in Berlin, ist aber im Elektronik-Sektor auf Zulieferer aus Asien angewiesen.
Die hohe Nachfrage nach E-Bikes, die wachsende Nachfrage nach Elektronik-Komponenten am Weltmarkt und die steigenden Transport-Kosten aus Asien sind für Leicht deshalb Indizien dafür, dass die Preise in diesem Jahr steigen werden. Ein erster E-Bike-Hersteller hat schon mitgeteilt, die Preise um hundert Euro pro Modell erhöhen zu müssen.
Wer also sein Wunschrad haben möchte,
sollte sich frühzeitig damit beschäftigen und/ oder auch längere Wartezeiten in Kauf nehmen. Der Bestand im Handel ist aktuell niedrig, Ware kann schnell vergriffen sein. Nochmal Dennis Schömburg vom Importeur Messingschlager: „Eile ist geboten. Die Lage ist angespannt, obwohl wir ein Rekordhoch bei den Auslieferungen in diesem Januar hatten“
Und wenn das Wunsch-Modell nicht verfügbar sei, gebe es immer noch Alternativen: „Es gibt Segmente, wo die Nachfrage aktuell nicht so hoch ist“, weiß Andreas Krajewski, Marketing-Manager bei Cannondale. Alexander Kraft vom Liegerad-Hersteller HP Velotechnik rät: „Wenn man schnell ein neues Rad will, lieber ohne Motor.“
Dass Kund/innen wütend sind über
ausbleibende Lieferungen, sei verständlich, so Kraft: "Aber man darf die Wut nicht an den Händler/innen auslassen. Sie tun ihr Bestes, können aber am wenigstens auf die weltweiten Lieferketten einwirken."