RSNplusSlowene mit unstillbarem Siegeshunger

Tadej, der Gnadenlose: Pogacar unterwirft sich die Tour

Von Tom Mustroph aus Nizza

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Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) gewann die Tour de France mit einer Dominanz, wie sie nur wenige zuvor für sich entschieden hatten | Foto: Cor Vos

21.07.2024  |  (rsn) - Die Geschichte kennt Iwan, den Schrecklichen, Vlad, den Pfähler und Eddy, den Kannibalen. Mit ersterem ist nicht der frühere Giro-Sieger Ivan Basso gemeint, sondern der grausame Zar, der seine Gegner unter anderem durch Jagdhunde zerfleischen ließ, wie die Historikerzunft festhielt. Vlad Dracul, der Fürst aus den Karpaten, der zur authentischen Vorlage für die Dracula-Fiktion wurde, ließ seine Feinde pfählen. Eddy “der Kannibale“ Merckx fraß seine Rivalen auf dem Rad zwar nicht leiblich. Aber er war so übermächtig, hatte einen derart großen Siegeshunger, dass er als Radsport-Kannibale in die Annalen einging.

Als eine Art “Baby-Kannibale“ wurde bislang Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) gesehen, als einer, der Merckx in seinem unbedingten Siegeshunger, aber auch in seiner Stärke bei vielen Rennen unterschiedlichen Typs ähnelt, seien es die Eintagesklassiker, die kleinen oder die dreiwöchigen Rundfahrten.

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Seiner Kannibalen-Adoleszenz ist der Slowene spätestens mit dieser 111. Tour de France entwachsen. Schon der Giro d’Italia deutete an, dass Pogacar keine Gnade kennt und Siege holt, wie es ihm gefällt. Deren sechs wurden es bei der Italien-Rundfahrt. Das Bergtrikot fiel ihm automatisch zu. Gegner im Kampf um das Rosa Trikot waren nicht auszumachen.

Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) gewann auch das abschließende Zeitfahren der 111. Tour de France und konnte schon vor dem Ziel seinen dritten Tour-Sieg bejubeln. | Foto: Cor Vos

Bei der Tour de France setzte er dies fort, trotz wesentlich stärkerer Konkurrenz. Pogacar dominierte aber auch die zweite Grand Tour des Jahres, ebenfalls mit sechs Siegen. Wie er das tat, löste lange Zeit Respekt aus. “Es ist enorm, wie er mit dem Gelben Trikot nicht auf Verteidigung setzt, sondern immer wieder angreift. Er sucht das Spektakel, und das macht den Radsport spannend“, sagte etwa Rolf Aldag, Sportdirektor von Red Bull – Bora – hansgrohe.

In der dritten Woche wollte Pogacar nicht nur siegen

Und das war durchaus Mehrheitsmeinung, bis zum Ende der zweiten Woche jedenfalls. Pogacar zeigte seine Stärke. Sie war nötig, um zu gewinnen. Mit Jonas Vingegaard (Visma – Lease a Bike) hatte er einen ernstzunehmenden Rivalen. Und den wollte er erschüttern.

In der dritten Woche trat aber eine andere Dynamik in Kraft. Pogacar wollte nicht nur weiter dominieren. Er wollte demütigen, wollte vielleicht auch Rache nehmen für die vielen rhetorischen Spitzen, die er letztes Jahr aus dem Lager von Jumbo – Visma, jetzt Visma – Lease a Bike, hinnehmen musste. Erst fing er auf Etappe 19 mit einem enormen Verfolgungsritt noch Vingegaards wichtigsten Helfer Matteo Jorgenson und betonte danach sogar: “Wenn Simon Yates noch vorn gewesen wäre, dann hätten wir ihm den Sieg gern überlassen.“

Simon ist Zwillingsbruder von Adam Yates, und der wiederum ist Vingegaards wichtigster Helfer. Freundschaftsbande kann durchaus über Rennstallgrenzen hinweg gehen. Zu Visma – Lease a Bike wird dieses Band zumindest von Pogacars Seite aus wohl niemals geknüpft werden. Jorgenson jedenfalls war tief enttäuscht, dass der Mann in Gelb ihn zur Beute auserkor.

Auch dank der besten Helferriege holte sich der Slowene nicht nur das Gelbe Trikot, sondern feierte gleich sechs Etappensiege – genauso viele wie beim Giro d’Italia, den er zuvor für sich entschieden hatte. | Foto: Cor Vos

Nicht anders ging es einen Tag später Vingegaard selber. “Ich hatte darauf gehofft, dass Tadej mir den Sieg überlässt“, sagte der Däne nach dem Bergsprint hinauf zum Col de la Couillole. Pogacar aber kannte keine Gnade – ebenso wenig im finalen Zeitfahren. Dort nahm er Vingegaard auf 33,7 Kilometern mehr als eine Minute ab, und das, obwohl er auf den letzten Metern schon im Feiermodus war. 

Für Pogacars Überlegenheit gibt es Erklärungsmuster. Das schnellere Rad von Colnago etwa, “marginal gains“ bei der Bekleidung, in der kürzeren Kurbel, die Trainingsimpulse vom neuen Coach Javier Sola. Als wichtigsten Aspekt für den neuen Tadej Pogacar, den überlegenen Überall-Sieger nannte sein Sportdirektor Matxin Fernandez gegenüber RSN aber dies: “Wir hatten einen sehr knappen Wettkampfkalender vor dem Giro. Tadej sah vom Trainingslager aus, wie seine Kollegen Rennen fuhren, wie sie auch Siege einfuhren. Er wollte selbst so gern dabei sein. Und als er es konnte, als wir ihn getreu unserem Saisonplan zu Rennen ließen, da wollte er vor allem eines: gewinnen.“

Der entthronte und der neue Tour-Sieger: Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard (Visma – Lease a Bike) bei der Siegerehrung in Nizza. | Foto: Cor Vos

Das tat der 25-Jährige dann mit Bravour. Ob Strade Bianche, ob Lüttich – Bastogne – Lüttich, ob Giro, ob Tour: Er wirkte wie ein Rennpferd, das lange zurückgehalten wurde, und als es endlich durfte, voller Lust davon galoppierte. Grimmigeren Gemütern dürfte der Vergleich mit einem Pitbull einfallen, der endlich losgelassen wird.

Wie lange hält Pogacars Siegeshunger noch an?

Die spannende Frage ist, wie lange dieser Siegeshunger noch anhält? Bezogen auf das Olympische Straßenrennen meinte Landsmann Luka Mezgec (Jayco – AlUla) zu RSN nur schmunzelnd: “Mit Tadej, da weiß man nie.“

Inzwischen weiß zumindest die Konkurrenz, wenn Pogacar sich eine Startnummer anheftet, dann will er, dass auf dem Ergebnisprotokoll vor seinem Namen die 1 steht.

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