Sportwissenschaftler Sebastian Weber zu Indoor- vs. Outdoor-Training

“Man muss auf der Rolle die Watt-Zahlen reduzieren“

Von Eric Gutglück

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Sebastian Weber | Foto: inscyd.com

12.05.2020  |  (rsn) - Jetzt während der Corona-Pandemie weichen viele Radfahrer auf das Rollen-Training aus. Doch wie lassen sich lange oder intensive Einheiten bestmöglich auf der Rolle absolvieren, wo Hitzestau und Monotonie statt Wind und Berge zur Herausforderung werden?

Radsport-News.com hat Sebastian Weber dazu befragt, Profi-Trainer und Entwickler des Leistungsanalyse-Tools Inscyd. Der Sportwissenschaftler betreute unter anderem die WorldTour-Teams HTC-Columbia, Katusha und Cannondale sowie den vierfachen Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin.

Radsport-News.com: Indoor oder Outdoor - was bietet aus Ihrer Perspektive die besseren Trainingsbedingungen?
Sebastian Weber: Beides hat Vor- und Nachteile. Man kann auf der Rolle Effekte erzielen, die man draußen nicht bekommt und umgekehrt. Vor allem Rhythmus-Wechsel, Bergauffahren, aus dem Sattel gehen oder das Fahren in der Zeitfahr-Position kann man nur auf der Straße trainieren. Indoor lässt sich dagegen das Training feiner steuern und Wattzahlen sind leichter einzuhalten. Für die physiologische Leistungsentwicklung kann man Indoor sehr viel tun, aber wettkampfentscheidende Faktoren wie Radbeherrschung, im Feld fahren oder das Fahren im Wind bekommt man auf der Rolle nicht abgebildet.

Viele Radfahrer stehen allerdings vor dem Problem, dass sie auf der Rolle nicht dieselben Wattzahlen treten können wie draußen. Woran liegt das?
Weber: Gerade bei längeren Rollen-Einheiten sind Überhitzung und Dehydrierung große Probleme. Das Hauptproblem, was viele jedoch übersehen, ist die deutlich geringere kinetische Energie. Das hat einen großen physiologischen Einfluss und sorgt dafür, dass sich die gleichen Wattzahlen viel anstrengender anfühlen als draußen. Bei Hochleistungs-Ergometern mit einer Schwungmasse von 30 Kilogramm kann man die kinetische Energie sehr gut simulieren, aber die modernen Smart-Trainer sind dafür einfach nicht schwer genug. Deshalb fühlt sich auch das Fahren auf einer freien Rolle sehr viel einfacher an. Dort ist die kinetische Energie deutlich höher.

Auf der Rolle tritt man permanent und hat weniger Leertretzeit als draußen, wo Abfahrten und oder Ampeln den Rhythmus stören. Gleichzeitig sind die Wattzahlen auf der Rolle niedriger. Ist der Trainingsreiz Indoor dennoch größer?
Weber: Die Wattzahlen draußen sind zwar aufgrund der kinetischen Energie höher, aber drinnen erzielt man subjektiv die gleiche Anstrengung – nur eben mit weniger Watt. Man kann nicht das eine vor dem anderen bevorzugen. Drinnen gilt: Brutto-Trainingszeit gleich Netto-Trainingszeit. Draußen stellt sich immer die Frage, wie hoch die Leertretzeit ausfällt. Wenn sie zu groß ist, weil man ständig rollen lässt, dann ist der Trainings-Reiz auch niedriger.

Sollten auf der Rolle und draußen unterschiedliche Trainingsbereiche angewandt werden?
Weber: Man muss auf der Rolle die Wattzahlen reduzieren. Selbst wenn man an das Rollen-Training einigermaßen angepasst ist, muss man je nach Rolle etwa sechs bis zwölf Prozent von den Wattzahlen abziehen, die man normalerweise draußen fahren kann.

Kann ich lange Intervalle auf der Rolle in mehrere kürzere aufteilen und beispielsweise aus 2 x 20 Minuten auch 4 x 10 Minuten machen?
Weber: Ich würde eher die Intensität anpassen als die Belastungsdauer. Wenn mir beispielsweise 300 Watt für 2 x 20 Minuten zu hoch sind, dann sind sie einfach zu hoch. Daran ändert sich auch nichts, wenn ich das auf 4 x 10 Minuten aufteile. Wenn die Schwelle draußen bei 300 Watt liegt, drinnen aber nur bei 280 Watt, dann fahre ich bei 4 x 10 Minuten auf der Rolle mit 300 Watt über meiner Schwelle und baue übermäßig Laktat auf. Das ist per se nicht schlecht, war jedoch nicht Ziel der Einheit.

Sind Fahrer, die draußen mit Hitze gut zurechtkommen, die besseren Rollenfahrer?
Weber: Das müsste man so annehmen. Als Tony Martin in Doha 2016 zum vierten Mal Zeitfahr-Weltmeister wurde, haben wir in der Vorbereitung Hitze-Training auf der Rolle gemacht. Natürlich findet da eine Anpassung statt. Ich kenne aber keine Studien, die den Effekt untersucht haben. So kann man nicht klar sagen, ob es einen Zusammenhang gibt, dass Hitzeverträglichkeit auch einen besseren Rollenfahrer auszeichnet.

Wie lange dauert eine Adaption beim Indoor-Training, um sich an die Hitze oder die muskuläre Beanspruchung anzupassen?
Weber: Es braucht ungefähr zehn Trainings-Einheiten, um sich an die Hitze anzupassen. Es ist dafür unerheblich, wie man diese Einheiten verteilt, ob man zwei Mal in der Woche auf der Rolle trainiert oder fünf Mal. Auch die Trainingsform ist irrelevant, es geht tatsächlich um das bloße Absolvieren von etwa zehn Einheiten. An die muskuläre Beanspruchung hingegen findet durch die fehlende kinetische Energie physikalisch bedingt nahezu keine Anpassung statt.

Wie kann ich den Effekt von mehrstündigen Grundlagenausdauer-Einheiten auf der Rolle simulieren?
Weber: Man kann das nie eins zu eins simulieren. Zunächst kann ich annehmen, dass fünf Stunden draußen nur etwa viereinhalb Stunden oder weniger Tretzeit entsprechen. Auf der Rolle trete ich aber permanent. Also könnte ich annehmen, mit viereinhalb Stunden Rolle meine fünf Stunden draußen ersetzen.

Viereinhalb Stunden auf der Rolle sind aber ebenfalls sehr lang. Kann ich das Training anderweitig abkürzen?
Weber: Man kann mit ein paar Tricks den Trainingsreiz hochhalten. Man kann zum einen submaximale Mikro-Beschleunigungen von höchstens 20 Sekunden in ein Grundlagen-Training einbauen. Dadurch wird der Kreatinphosphat-Speicher reduziert, was wiederum die Sauerstoffaufnahme anregt. Weil diese aber träge ist, arbeitet sie anschließend in den nächsten Minuten erhöht weiter, um das Kreatinphosphat wieder aufzufüllen. Das kann man alle zehn Minuten wiederholen. Zum anderen kann ich eine lange Einheit in zwei kürzere aufteilen. Der Trick liegt dann darin, zwischen beiden Einheiten keine Kohlenhydrate zuzuführen. Dadurch bleibt der Stoffwechsel am Laufen und die Trigger-Gene, die für die Anpassung notwendig sind, bleiben aktiv.

Im Wettkampf können sich viele Fahrer besser quälen. Kann man intensive Einheiten auch durch ein virtuelles Rennen ersetzen, falls die Motivation für das Intervall-Training fehlt?
Weber: Das kann man durchaus, es hängt aber stark von der Einheit ab, die ich ersetzen will. Das Rennen sollte der Einheit möglichst nahekommen. Wenn ich eine intensive VO2max-Einheit, beispielsweise 4 x 4 Minuten, ersetzen will, sollte ich mein E-Rennen ähnlich gestalten. Das darf man auch nicht verkomplizieren. Die Gesamtbelastung muss einfach ins Bild passen. Wenn die Einheit so geplant war, dass ich morgen noch eine Einheit absolvieren kann, sollte ich mich im Rennen nicht zu sehr abschießen. Das ist wichtiger als die Frage, ob ich mich im Rennen für drei oder vier Minuten belastet habe.

Wie ändert sich ein Warm-up vor einem Wettkampf, wenn ich ein eRace fahren will?
Weber: Meiner Meinung nach ändert sich da fast nichts. Die Intensität sollte etwas niedriger als draußen sein und man sollte einkalkulieren, dass auf der Rolle die Netto- gleich der Brutto-Fahrzeit entspricht.

Nach einer Vollbelastung auf der Rolle sind viele Fahrer nicht in der Lage, nach ein paar Minuten lockeren Fahrens erneut eine ähnliche Leistung abzurufen. Auf der Straße hingegen fällt das leichter. Woran liegt das? Und was kann man dagegen tun?
Weber: Das kann zum einen an der Hitze liegen, zum anderen daran, dass die Regenerationsfähigkeit auf der Rolle eingeschränkt ist. Dadurch, dass man aktiv mit jeder Beinstreckung dafür sorgen muss, dass man weiterfährt, kann man sich nicht so gut erholen wie draußen, wo man aufgrund der kinetischen Energie "mitrollt".

Gibt es eine spezielle Indoor-Faustregel zur Ernährung?
Weber: Hauptsächlich geht es darum, mehr zu trinken. Dabei sollte das Getränk auf jeden Fall Mineralien enthalten, nicht nur reines Wasser. Man könnte zudem argumentieren, dass man durch die höhere Belastung mehr Kohlenhydrate verbraucht. Dagegen spricht aber, dass man nicht friert, sondern es eher heiß wird, wodurch weniger Kohlenhydrate benötigt werden. Das hebt sich also weitgehend auf.

Welche Unterschiede sind bei der Regeneration zu beobachten? Brauche ich nach einer identischen Indoor-Einheit länger als draußen, um mich zu erholen?
Weber: Wenn ich meine Trainingsbereiche entsprechend angepasst habe, ist die Regenerationsdauer identisch. Dennoch gibt es einen Unterschied: Die muskuläre Beanspruchung kann durch die Rolle größer sein, die Gesamtermüdung kann jedoch kleiner sein, weil auf der Rolle in der Regel kürzer trainiert wird.

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